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Rapperswil-Jona
24.02.2023
01.03.2023 14:05 Uhr

Stadt-Parlament ohne Volk

Parlamentarier in Weinfelden unter sich – das Volk interessiert’s nicht.
Parlamentarier in Weinfelden unter sich – das Volk interessiert’s nicht. Bild: Sabrina Bächi, St. Galler Tagblatt
Das aktuelle Beispiel aus Weinfelden TG zeigt, wie Stadtpräsident Stöckling’s Vision zur traurigen Tatsache wird: Mit einem Parlament interessiert sich niemand mehr für Lokalpolitik.

Bereits seit 1946 kennt die Stadt Weinfelden das parlamentarische System, ursprünglich mit 21 Mitgliedern. 1983 wurde die Mitgliederzahl auf 30 erhöht. Am 12. März nun finden Neuwahlen fürs Parlament statt.
Deshalb präsentierten sich Samstag den Wählern 162 Kandidatinnen und Kandidaten aus 10 Parteien (EDU, SVP und FDP, «Mitte», «Mitte Newcomer», EVP, «JA» (Jung&Aktiv), Grüne, Grünliberalen und SP). Das Problem: Niemand interessierte sich dafür.

Schoggi, Nastüechli, im Kreis 

Die lokale Reporterin Sabrina Bächi berichtete dazu im «St. Galler Tagblatt», die Parteien hätten ihre Stände im Kreis aufgestellt, Wahlplakate montiert und sich mit Flugblättern, Kaffee, Tee und Wahlgeschenken ausgerüstet. Doch, «weder Schoggi noch Nastüechli oder den grünen Pfeffer bringen sie an die Frau oder den Mann. Die Flyer werden weggewindet. Den Wein, Schnaps oder Tee trinken sie selber.»

Nach vier Stunden wurde eingepackt. Die Reporterin notierte Aussagen der frustrierten Parlaments-Kandidaten: «Etwas langweilig.», «Inzuchtanlass.», «Immerhin sind die Kandidierenden da – und ihre Angehörigen.»

Parteienklüngel auf dem Weg

Organisiert wurde der Anlass von der «Interpartei». Darin besammeln sich in Weinfelden alle lokalen Parteien. So wie heute in Rapperswil-Jona, wo alle Parteien zusammen mit der Stadtregierung das Parlament durchdrücken wollen. Die «Interpartei», der Parteienklüngel von Rapperswil-Jona, ist also schon auf dem Weg.

Stöcklings Prognose

Stadtpräsident Martin Stöckling, dessen Politik jetzt mit einem Parlament angereichert werden soll, sagte Ende Januar 2019 der «Solothurner Zeitung: «Die Erfahrungen in Gemeinden mit Parlament zeigen, dass das Interesse der Bevölkerung an Lokalpolitik gegen null tendiert.»

Weinfelden verdeutlicht, was Stöckling, der frühere vehemente Parlaments-Gegner, prognostiziert hat: Mit einem Parlament wendet sich die Bevölkerung von der Politik ab. Die Politiker und Parteien sind dann unter sich, was sie offenbar anstreben. Und alle vier Jahre stehen sie – ohne Volk – auf den Markt- und Hauptplätzen und stellen Fotos an die Strassenränder. 

Kandidaten- und Fraktionsschwemme

Zum Schluss am Beispiel von Weinfelden, was mit einem Parlament für eine Kandidaten- und Fraktionsschwemme auf die Wähler solcher Gemeinden zukommt: GLP: 26 Kandidaten, EVP: 15, JA: 15, EDU: 12, Grüne: 15, SP: 20, FDP: 15, SVP: 15, Mitte: 15, Mitte Newcomer: 14.

Rumstehen, warten, parlare: «Den Wein, Schnaps oder Tee trinken sie selber.» Bild: Sabrina Bächi, St. Galler Tagblatt
Mario Aldrovandi, Bruno Hug