Wie ich in Folge 7 der Serie zur Kesb-Klage geschrieben habe, stuften die St. Galler Kreis- und Kantonsgerichts-Richter die auf wahren Begebenheiten beruhenden Berichte der Obersee Nachrichten (ON) zur Kesb Linth als persönlichkeitsverletzende Medienkampagne ein. Deshalb verbieten sie uns Ex-Redaktoren der ON, gewisse Aussagen zur Kesb je zu wiederholen.
Viele dieser Aussagen stammten jedoch nicht von uns. Sie wurden von Dritten auf Facebook gepostet, in Leserbriefen genannt oder wurden von Ärzten, Anwälten, Fachpersonen oder Kesb-Betroffenen geäussert.
ON werden für Anwalts-Voten abgestraft
Dazu ein Beispiel: Wir berichteten im Fall «Samuel» über einen 8-jährigen Buben, den die Kesb ohne Wissen der Mutter mit der Polizei aus der Schule holen liess und im Toggenburg in einer Pflegefamilie fremdplatziert hatte. (Fallbeschrieb siehe Folge 4).
Zu diesem Fall führten wir mit dem Zürcher Anwalt der Mutter, Daniel U. Walder, ein Interview. Darin betitelte dieser die Fremdplatzierung des Buben als «illegal», «komplett willkürlich», «skandalös» und im Falle einer Bestätigung durch die Gerichte als «eine Entführung».
Alle diese Aussagen lastete das Gericht aber uns Redaktoren an. Es verbot uns, sie, die Kesb angreifend, je wieder zu äussern. Das brachte dem ON-Verlag und uns Redaktoren ein Schreibverbot ein, mit dem auch hohe Entschädigungskosten an die Stadt einhergehen.
«Lieber Bruno, gutes Interview»
Noch brisanter ist aber nun, dass wir dieses Interview – wie die meisten Artikel zur Kesb – vor Veröffentlichung unseren Anwälten zur Prüfung vorlegten. In diesem Fall war das Martin Stöckling, damals noch als Anwalt bei der Anwaltskanzlei Swiss Legal in St. Gallen tätig.
Zum diesem Interview schrieb mir Anwalt Stöckling am 22. April 2016: «Lieber Bruno, ich habe das Interview mit Kollege Walder gelesen. Gutes Interview. Die Sache dreht einem echt den Magen um.»
«Die Sache hat eine neue Dimension gewonnen»
Ein anderes Mal ging es um die Tonbandaufzeichnung eines Gesprächs zwischen Marco H. auf dem Jugendschiff und seiner Mutter. Darin beklagte sich der Junge darüber, wie er von der Schiffsleitung unter Druck gesetzt werde, weil seine Mutter die Medien zum Jugendschiff informiere. Daraufhin schrieben wir in der ON-Redaktion aufgrund der Not des Buben eine Gefährdungsmeldung an die Kesb Linth (die sie notabene dann – entgegen den gesetzlichen Vorschriften – nicht aufnahm).
Unser Anwalt Stöckling prüfte die Gefährdungsmeldung und schrieb in seiner Begleit-Mail vom 7. September 2015:
«Hallo Bruno. Ich habe beides angeschaut, anbei findest Du meine Änderungen im Korrekturmodus. Ich denke, die Sache hat eine neue Dimension gewonnen. Das Vorgehen der Schiffsleitung … ist nicht nur aus pädagogischer Sicht falsch, sondern jetzt auch allenfalls strafrechtlich relevant. Daher ist es wichtig, dass G. (der Leiter der Kesb Linth) zum Handeln gezwungen wird.» Beleg 15
Stöckling: «Situation nicht weiter tolerierbar»
Unsere Gefährdungsmeldung verschärfte der spätere Stadtpräsident Stöckling dann noch mit folgender, von ihm vorgeschriebener Passage:
«Die Schiffleitung versucht sich selber vor negativer Presse zu schützen und setzt dabei den Jungen ein. Damit befindet sie sich ganz offensichtlich in einem eklatanten Interessenkonflikt… Das Schiff stellt seine Interessen über diejenigen des ihm anvertrauten Jungen. Diese Situation ist nicht weiter tolerierbar und widerspricht in klarer Weise dem Auftrag der Schiffsleitung.»
Darüber zu berichten ist notwendig
Des Weiteren empfahl Anwalt Stöckling der Obersee Nachrichten-Redaktion in seiner Mail noch, zuerst die Gefährdungsmeldung an die Kesb zu senden und «später darüber zu berichten». Das sei seines «Erachtens auch notwendig».
Unser Obersee-Nachrichten-Anwalt Stöckling hielt es somit für «notwendig», über die Kesb zu schreiben. Der ab 2017 dann von ihm geführte Stadtrat finanzierte dem Kesb-Leiter umgekehrt noch jahrelang die Kesb-Klage gegen die Zeitung. Mit dem Hauptargument, wir hätten zu viel über die Kesb und den Kesb-Leiter geschrieben.
Der Stadtpräsident: «Das Urteil wird korrigiert»
Auch in den Fällen von Pensionär F. B. aus Rapperswil, Peider Vital aus Schmerikon oder Gipser Vontobel aus Benken beriet Anwalt Stöckling die ON-Redaktion und segnete Artikel ab.
Ausserdem war Stöckling, als er schon über ein Jahr im Amt als Stadtpräsident war, überzeugt davon, dass die Stadt den Kesb-Prozess verliert. An einer Besprechung vom 17. Januar 2018 sagte ich ihm, falls das willkürliche Sarganser Urteil Bestand habe, ginge der Prozess wohl noch an den Menschenrechtsgerichtshof nach Strassburg.
Stöckling entgegnete – unter Zeugen: «Da musst Du nicht bis nach Strassburg, das Urteil wird schon von der nächsten Instanz korrigiert. Es enthält Entscheide, die ‘niä verhebät’.»
Anwälte und Richter als Gewinner
Zur Entlastung des Stadtpräsidenten ist anzumerken, dass er offenbar in allen Kesb-Fragen in den Ausstand trat. Ob das in dieser für die Stadt und die Medien derart wichtigen Frage, und bei seinem Glauben, die Stadt verliere den Prozess, richtig war, muss jedermann selbst entscheiden.
Fest steht: Die Anwälte und die Richter sind immer Gewinner und können jederzeit und ganz ungeniert die Seite wechseln. Ich platziere deshalb nachfolgend den Kasten aus Folge 7 nochmals, indem in der Zeitschrift für Medienrecht die St. Galler Kesb-Urteile massiv kritisiert werden.