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29.01.2025
29.01.2025 07:59 Uhr

Als in Eschenbach Velo-WM war

Trotz widriger Wetterverhältnisse kamen rund 27'000 Zuschauer an die Eschenbacher Radquer-Weltmeisterschaft vor genau 30 Jahren.
Trotz widriger Wetterverhältnisse kamen rund 27'000 Zuschauer an die Eschenbacher Radquer-Weltmeisterschaft vor genau 30 Jahren. Bild: VCE Archiv
Am 28./29. Januar 1995 richtete der VeloClub Eschenbach die Radquer-Weltmeisterschaft aus. Ein Rückblick auf das fast abgesagte Spektakel mit 27'000 Besuchern, TV- und Bier-Rekord.

Vor genau 30 Jahren wurde Eschenbach zum Mittelpunkt der internationalen Radsportwelt. Am 28. und 29. Januar 1995 richtete der VeloClub Eschenbach ein Ereignis aus, das bis heute unvergessen bleibt: die Radquer-Weltmeisterschaft. Trotz widriger Wetterverhältnisse pilgerten rund 27'000 Zuschauer an jenem Wochenende nach Eschenbach und erlebten ein sportliches wie organisatorisches Highlight. Doch wie kam es zu diesem denkwürdigen Ereignis? Der VeloClub schaut sich das Ereignis in den folgenden Zeilen etwas genauer an.

Das Titelblatt der offiziellen Zeitung zur Radquer-Weltmeisterschaft 1995 in Eschenbach. Bild: VCE Archiv

Ein sportliches Grossereignis für die Region

Die Wurzeln des VC Eschenbach reichen bis ins Jahr 1899 zurück. Bereits damals war der Verein tief im lokalen Sportgeschehen verwurzelt. Unter der Leitung von Sepp Güntensperger und Beda Wildhaber entwickelte sich der Verein in den 1990er-Jahren zu einem erfahrenen Veranstalter von Radquerrennen. Die Bewerbung für die Radquer-Weltmeisterschaft 1995 war ein ambitioniertes Vorhaben – aber auch ein mutiger Schritt, den sich ein kleiner Verein nur durch unermüdlichen Einsatz und ein starkes Netzwerk zutrauen konnte. Dank der Unterstützung des damaligen Gemeindepräsidenten Alois Bühler gelang es dem OK, zahlreiche bürokratische Hürden zu überwinden. Doch nicht nur organisatorische Herausforderungen galt es zu meistern, sondern auch die Tücken der Natur stellten das Team vor fast unlösbare Aufgaben.

Und wer waren die Köpfe dahinter: Zur Organisation der WM95 gründete man den Verein Radquer WM 1995, der zu gleichen Teilen aus dem VMC Alpina Eschenbach und der Stiftung Schweizer Sporthilfe bestand. Als Direktor der WM fungierte Edwin Rudolf, welcher mit seiner Erfahrung im Verband und seiner Affinität zum Marketing die Grundsteine legte. Zum engeren OK zählten vom Veloclub Eschenbach Beda Wildhaber und Josef Güntensperger, sie waren die Drahtzieher, welche zusammen mit ihren OK-Kollegen Kurt Baumer (Streckenchef), Bruno Wildhaber (Festwirtschaft), Josef Köpfli (Unterhaltung), Theres Wildhaber (Quartier), Walter Oberholzer (Lokalsponsoring), Beat Gügler (Lokalpresse), Walter Brändli (Pressecenter), Toni Brändli (Rennorganisation), Heiri Disch (Tageskasse), Martin Hofstetter (Personal) die Zügel in der Hand hielten.

Eröffnungsfeier der Radquer-WM 1995 in Eschenbach. Bild: VCE Archiv

Extreme Wetterbedingungen – ein Sturm veränderte alles

Die Wetterkapriolen, die das OK zu bewältigen hatte, sind bis heute in Erinnerung. Der Januar 1995 war eisig kalt, was den Aufbau der Infrastruktur erschwerte. Doch kurz vor dem Event setzte plötzlich Tauwetter ein, das die Situation dramatisch verschlimmerte. Am Donnerstagabend, nur zwei Tage vor den ersten Rennen, zog ein schwerer Sturm mit Graupelschauer über Eschenbach hinweg. Während die Zuschauer das «Blaumeisenkonzert» feierten, stürzte ein Teil des Bodens vor der Bühne aufgrund des tauenden Untergrundes ein. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Doch der Schock sass tief. Der Buffettrakt wurde überflutet, der Zielbogen vom Sturm teilweise umgerissen, und auch die geplante Sprungschanze, die für eine Showeinlage am Samstag dienen sollte, wurde zerstört.

Dennoch liess sich das Organisationsteam nicht entmutigen. Mit vereinten Kräften von Helfern aus Eschenbach und umliegenden Gemeinden wurden die Schäden in kürzester Zeit behoben. Selbst die geplante Europameisterschaft der Espoirs am Samstag konnte wie vorgesehen stattfinden – ein Kraftakt, der ohne den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten nicht möglich gewesen wäre.

Als besonderes Highlight führte die Strecke der Eschenbacher Radquer-WM mitten durch das Festzelt. Bild: VCE Archiv

Highlight der besonderen Art: Strecke mitten durch Festzelt

Die Strecke der Radquer-WM 1995 bot den Zuschauern einige spektakuläre Besonderheiten. Ein Highlight war sicherlich die Passage, die direkt durch das Festzelt führte. Von dort aus konnten die Zuschauer die Athleten hautnah erleben. Die Strecke selbst war anspruchsvoll, geprägt von rutschigen Abfahrten, schlammigen Passagen und einem steilen Hang, an dem eigens eine Tribüne aus Holzbrettern und Holzspänen errichtet wurde, um den Fans eine optimale Sicht und vor allem Trittsicherheit zu bieten.

Beinahe abgesagt: der Start zum Eliterennen an der Eschenbacher Radquer-WM 1995. Bild: VCE Archiv

Knapp an der Absage vorbei

Bis zuletzt stand der Renntag am Sonntag auf der Kippe. Die Wetterprognosen waren derart schlecht, dass das OK am Samstagabend ernsthaft über eine Absage nachdachte. Der Regen und das Tauwetter hatten die Strecke in einen Schlammparcours verwandelt. Doch man entschied sich, das Risiko einzugehen – eine Entscheidung, die sich als goldrichtig erwies.

Da zeitgleich die Ski-WM in Sierra Nevada aufgrund des schlechten Wetters abgesagt wurde, richteten sich alle Augen auf Eschenbach. Die Radquer-WM wurde live im Schweizer Fernsehen, auf Eurosport und auf zwölf weiteren Stationen übertragen. Das Schweizer Fernsehen registrierte am Sonntag, 29. Januar 1995, bei der Live-Übertragung der Open-WM mit 508'000 Zuschauern einen neuen Rekord für Rad-Live-Übertragungen. Besucher und Medienvertreter aus dem In- und Ausland waren Zeuge einer tadellosen Organisation, welche mit originellen Ideen und seriöser Arbeit dem Motto «100 % quer – anders als alle andern» nachlebte.

Radquer-Weltmeister wurde in Eschenbach der Schweizer Dieter Gunkel vor dem Holländer Richard Groenendaal und dem Schweizer Beat Wabel. Bild: VCE Archiv

Triumph von Dieter Runkel – Radsportmärchen für Eschenbach

Das Hauptrennen am Sonntag sollte für die Schweizer Fans ein unvergesslicher Moment werden. Dieter Runkel, ein damals 28-jähriger Athlet, lieferte einen beeindruckenden Sololauf und sicherte sich mit einem Vorsprung von 37 Sekunden den Weltmeistertitel. Es war ein historischer Triumph, denn bis heute ist Runkel der letzte Schweizer, der diesen Titel gewinnen konnte. Neben ihm komplettierten Richard Groenendaal aus den Niederlanden auf Platz zwei und der Schweizer Beat Wabel mit Bronze das Podium.

Abmarsch der Zuschauer nach dem Rennen. Während der WM wurden insgesamt rund 1'000 Harrasse Bier getrunken. Bild: VCE Archiv

Spannung bis zuletzt und rekordverdächtiger Bierkonsum

Der Sonntag brachte nicht nur sportliche Höhepunkte, sondern auch eine rekordverdächtige Leistung in der Festwirtschaft. Trotz des widrigen Wetters war die Bar durchgehend von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Insgesamt wurden an diesem Wochenende rund 1'000 Harasse Bier konsumiert. Als sich am Sonntag abzeichnete, dass ein Schweizer Weltmeistertitel möglich war, liess das OK-Team die letzten zwei Paletten Bier nachliefern. Kein Tropfen blieb übrig. Die Stimmung im Festzelt war euphorisch, als Dieter Runkel die Ziellinie überquerte und sich zum Weltmeister krönte.

Ein Vermächtnis für die Vereinsgeschichte

Drei Jahrzehnte sind vergangen – und doch fühlt es sich an, als würde der Geist dieser unvergesslichen Tage noch heute durch unseren Verein wehen. Die Radquer-WM 1995 war weit mehr als ein sportliches Ereignis. Es war ein Fest des Zusammenhalts, ein Triumph der Leidenschaft und ein Beweis dafür, was möglich ist, wenn Menschen für eine gemeinsame Vision brennen.

Beda Wildhaber und Karin Kessler, VeloClub Eschenbach