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Kanton
16.02.2022

Regierungsmaulkorb und Gemeindemehr versenkt

Der Kanton St.Gallen führt keinen Maulkorb für Regierung (l.) und auch kein Gemeindemehr bei kantonalen Abstimmungen ein.
Der Kanton St.Gallen führt keinen Maulkorb für Regierung (l.) und auch kein Gemeindemehr bei kantonalen Abstimmungen ein. Bild: sg.ch / Archiv
Mit 56 zu 55 Stimmen verwirft der St.Galler Kantonsrat einen Gesetzesnachtrag mit Maulkorb für die Regierung. Auch die Einführung eines Gemeindemehrs bei kantonalen Abstimmungen lehnt er ab.

Maulkorb-Gesetz am Schluss hauchdünn gescheitert

Bei der Änderung des Staatsverwaltungsgesetzes ging es um die Frage, ob sich die St.Galler Regierung vor Abstimmungen äussern darf, wenn ihre Meinung nicht mit derjenigen des Kantonsrats übereinstimmt.

Die Diskussionen um einen Maulkorb für die Exekutive hatte die Abstimmung über das Verhüllungsverbot im September 2018 ausgelöst. Im Vorfeld hatte die Regierung öffentlich bekanntgegeben, dass sie im Gegensatz zur Mehrheit des Parlaments das Gesetz ablehne. An der Urne wurde es dann angenommen.

Motion der SVP

Die SVP reichte danach eine Motion ein, die im September 2019 knapp mit vier Stimmen Differenz gutgeheissen wurde. Damit musste die Regierung eine Gesetzesänderung ausarbeiten. Sie schlug folgende Regelung vor: «Die Regierung vertritt bei kantonalen Abstimmungsvorlagen keine vom Kantonsrat abweichende Abstimmungsempfehlung.»

In der Novembersession 2021 wehrten sich die Fraktionen von FDP, Grünen und SP gegen die Gesetzesänderung. In der Vergangenheit habe die Regierung nur in seltenen Fällen ihre abweichende Haltung bekanntgegeben, wurde argumentiert. Die Bevölkerung könne durchaus differenzieren. Ein Gesetz brauche es nicht.

Coup in der Schlussabstimmung

Für die Bestimmung mit dem Maulkorb stimmten die Fraktionen von Mitte-EVP und SVP. Sie setzten sich bei der ersten Lesung mit 60 gegen 42 Stimmen durch. In der zweiten Lesung am Montag in der Februarsession gab es dazu keine Wortmeldungen.

Als es am späten Dienstagnachmittag zur Schlussabstimmung kam, kündigten die Sprecher von SP und Grünen an, dass sie die Vorlage ablehnen werden. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Abstimmungen gelang nun mit Unterstützung von FDP und GLP der Coup: Die Gesetzesänderung mit der Maulkorb-Regelung wurde mit 56 gegen 55 Stimmen versenkt.

Kein Gemeindemehr bei kantonalen Abstimmungen

Die SVP-Fraktion verlangte die Einführung des Gemeindemehrs «bei kantonalen Vorlagen ohne Verfassungsrang». Für die Annahme einer Vorlage solle künftig die Mehrheit der Stimmen und die Mehrheit der politischen Gemeinden erforderlich sein.

Die Regierung lehnte den Vorstoss ab. Mit der Einführung des Gemeindemehrs verfügten die Stimmberechtigten je nach Wohnsitz über ein sehr unterschiedliches Stimmgewicht, erklärte sie. «Eine Stimme aus der kleinsten politischen Gemeinde des Kantons würde rund 88 Mal stärker ins Gewicht fallen, als eine Stimme aus der grössten politischen Gemeinde des Kantons.»

Rechtlich zweifelhaft

Diese «massive Ungleichheit» wäre der Legitimität und Akzeptanz von Abstimmungsergebnissen abträglich, so die Regierung. Die rechtliche Zulässigkeit der Forderung sei «zumindest zweifelhaft». Das Gebot der Rechtsgleichheit in der Bundesverfassung garantiere die politische Gleichberechtigung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Vor der Debatte über den Vorstoss am Dienstagnachmittag musste Staatssekretär Benedikt van Spyk auf einen Antrag hin Stellung nehmen, ob die Motion überhaupt rechtlich zulässig ist. Er sagte, dies könne erst im Rahmen der Umsetzung entschieden werden.

74 zu 33 Stimmen gegen Eintreten auf Vorstoss

Im Rat lehnten ausser der SVP alle Fraktionen die Motion ab. Der Vorschlag sei «undemokratisch und unausgegoren», hiess es etwa von der GLP. Es gehe der SVP nicht um eine breite Abstützung, sondern um mehr Macht. Der Rat trat mit 74 gegen 33 Stimmen nicht auf den Vorstoss ein.

sda / Linth24