Am Samstag, 6. März 2021 fand in Gommiswald in einem Restaurant eine Versammlung von rund 90 Personen statt. Diese haben sich entgegen den geltenden Bestimmungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie versammelt. Die Polizei hatte gemäss Medienberichten die Veranstalter vorgängig auf die Unzulässigkeit einer solchen Versammlung hingewiesen. Dennoch wurde diese abgehalten. Die Polizei hat sich entschieden, vor Ort nicht zu intervenieren, die Versammlung wurde nicht aufgelöst.
Grundsatz der Verhältnismässigkeit
Die Polizei argumentiert vorliegend mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Offenbar schloss sie nicht aus, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen hätte kommen können und es seien auch Kinder vor Ort gewesen. Es käme nun aber zur strafrechtlichen Verfolgung.
Es ist unbestritten Aufgabe der Polizei, eine solche Abwägung vorzunehmen. Gerade in der Corona-Zeit hat die Polizei eine besonders schwere Aufgabe zu lösen. Einerseits gibt es Personen, die sich nicht an die Massnahmen halten, weil sie Corona leugnen. Andererseits hat bei vielen Personen, die sich grundsätzlich an die Massnahmen halten wollen, eine gewisse Müdigkeit gegenüber den sozialen Beschränkungen eingesetzt und die Anspannung nimmt zu.
Nicht die übliche Bahnhofprominenz
Entscheidend für die Verhältnismässigkeitsprüfung ist, dass die Massstäbe, welche in der Interessenabwägung angewendet werden, unabhängig von der Zugehörigkeit der Betroffenen zu einer sozialen Gruppe und unabhängig von deren politischen Orientierung gewählt werden. Diesbezüglich wirft eine Aussage des Mediensprechers der Kantonspolizei in einem Interview mit dem St.Galler Tagblatt vom 10. März aber Fragen auf. Er führt aus: «In diesem Fall wäre es unverhältnismässig gewesen, das Restaurant zu «stürmen» und alle Beteiligten zu identifizieren. Und das lag nicht nur an der Anwesenheit der Kinder. Im Restaurant befanden sich Leute wie Sie und ich, nicht die übliche Bahnhofprominenz».
Leute in prekären Lebenssituationen
Es liegt auf der Hand: Mit dem Begriff «übliche Bahnhofprominenz» sind Leute in prekären Lebenssituationen gemeint. Personen, die sich regelmässig am Bahnhof in Gruppen aufhalten und von der Polizei kontrolliert werden, insbesondere Personen mit Suchtproblemen. Gemäss der Aussage des Mediensprechers war für den Verzicht auf eine polizeiliche Intervention mit massgeblich, dass sich im Restaurant Leute wie ein Mediensprecher einer Kantonspolizei oder ein Journalist des St.Galler Tagblatts befanden und nicht etwa Personen, die sich ausserhalb der «gesellschaftlichen Norm» bewegen. Er bringt damit zum Ausdruck, dass die Zugehörigkeit der von einer allfälligen Intervention Betroffenen zu sozialen Gruppen für die Interessenabwägung massgeblich ist. Mithin, dass das Recht nicht auf alle gleich angewendet wird.
Die SP-Fraktion bittet die Regierung um die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Wie wird sichergestellt, dass die Interessenabwägung im Zusammenhang mit polizeilichen Interventionen unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung der Betroffenen erfolgt?
- Sieht die Regierung Handlungsbedarf?