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Gesundheit
16.12.2020
16.12.2020 07:14 Uhr

«Menschen leiden vermehrt an Einsamkeit, Isolation und Ängsten»

Dr. Roman Specker: «Etwa 5% sehen die Coronazeit als Auslöser ihrer Probleme. Aber auch früher behandelte Patienten kommen erneut.»
Dr. Roman Specker: «Etwa 5% sehen die Coronazeit als Auslöser ihrer Probleme. Aber auch früher behandelte Patienten kommen erneut.» Bild: zvg
Die Corona-Pandemie fordert immer mehr Opfer: Auch wirtschaftlich und psychisch leiden die Menschen. Dr. Roman Specker berichtet im Linth24-Interview, wie es bei ihm in Rapperswil aussieht.

Erfahren Sie mehr über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Psyche der Menschen in der Region im 3. Teil der Linth24-Serie. Heute mit Dr. Roman Specker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie von der «Praxis am Steg» in Rapperswil.

Linth24: Hat sich die Anzahl Patienten bei Ihnen seit der Corona-Krise vergrössert?

Dr. Roman Specker: Ja ganz klar. Menschen leiden vermehrt an Einsamkeit, Isolation und Ängsten. Auch Zwangserkrankungen wie Putz und Waschzwang oder Paarkonflikte sind vermehrt feststellbar.

Wie viel Prozent Ihrer Patienten sind wegen der Corona-Krise bei Ihnen?

Etwa 5% sehen die Coronazeit als Auslöser ihrer Probleme. Einige bereits früher behandelte Patienten kamen aber erneut zu mir, weil sie beispielsweise verstärkt unter Existenzproblemen oder -ängsten litten oder weil sich eine einigermassen stabilisierte Depression wieder verschlimmerte.

Unter der Pandemie hat sich vieles verschlechtert. Die Suche auf dem Arbeitsmarkt ist viel schwieriger geworden, Mütter mit ihren Kindern sind schneller in einer Erschöpfungssituation, weil sich vieles an gestauter Energie und Emotionen in den Wohnungen bündelt und sich nicht in Freizeitaktivitäten etc. entladen kann.

«Menschen leiden vermehrt an Einsamkeit, Isolation und Ängsten. Auch Zwangserkrankungen wie Putz und Waschzwang oder Paarkonflikte sind vermehrt feststellbar.»
Roman Specker, Facharzt Psychiaterie

Müssen Sie Patienten abweisen, weil Sie überlastet sind?

Ja, leider. Pro Woche müssen wir zwei bis drei Patienten auf die Ambulatorien in der Region verweisen.

Welches sind die hauptsächlichen Probleme der Patienten, welche Sie aufsuchen wegen der Corona-Krise

Bei den meisten Menschen akzentuieren sich die bereits vorhandenen Probleme. Hinzu kommen aber auch neue Aspekte: Einsamkeit der Grosseltern ohne Enkelkinder ist ein Thema. Vermeidungsverhalten der PatientInnen mit sozialen Ängsten nimmt zu, so dass Sie legitimiert in ihren vier Wänden zurückgezogen leben und nicht aus ihren Ängsten finden. Es gibt eine Zunahme häuslicher Gewalt und Suchtprobleme. Vereinzelt bekunden die PatientInnen auch Mühe mit der Maskenpflicht, bei Panikattacken mit Atemnot oder auch empfunden als „Mundkorb der Obrigkeit“.

Studien zeigen, dass vor allem Jugendliche unter der Krise leiden und Hilfe suchen. Ist das bei Ihnen auch so?

Wir arbeiten primär mit Erwachsenen, aber auch bei jungen Erwachsenen fällt die fehlende Freizeitgestaltung auf, oder auch gewisse Schwierigkeiten aufgrund von „Home Schooling“, Partnersuche und Freizeitaktivität wie der Besuch von Clubs und Diskotheken. Auch Quarantänesituationen sind für die jüngeren Menschen oft schwerer auszuhalten. Bei vielen sind die sozialen Aktivitäten massiv eingeschränkt oder laufen über die sozialen Medien. Auch die frustrierende Stellensuche belastet die jüngeren, aber auch älteren, Erwachsenen stärker.

«Mütter mit ihren Kindern sind schneller in einer Erschöpfungssituation, weil sich vieles an gestauter Energie und Emotionen in den Wohnungen bündelt.»
Roman Specker, Facharzt Psychiaterie

Was empfehlen Sie Menschen, die besonders stark unter der Coronakrise leiden?

Soziales Distanzieren heisst nicht, die sozialen Kontakte zu vergessen und sich zu Hause einzugraben. Über Telefonate, Video-Chat oder auch Spaziergänge im Freien können wir der sozialen Isolation und Monotonie entgegen wirken. Auch gibt es mehr Raum und Zeit für kreative Projekte, körperliche Fitness durch Übungen auch zu Hause, Weiterbildungen, Sprachen lernen oder auch einfach auch mal zur Ruhe kommen.

In der Familie können vielleicht wieder vermehrt Aktivitäten zu Hause stattfinden: Gesellschaftsspiele, backen, basteln. Und trotzdem ist es wichtig, an die frische Luft und auch mal über die Nebelgrenze zu kommen.

Sibylle Marti, Linth24