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Kanton
25.12.2019
25.12.2019 14:54 Uhr

Spitalkrise: Widerstand im Toggenburg

Der «Förderverein Regionalspital Toggenburg Wattwil» und der Gemeinderat von Wattwil lehnen sich gegen die Schliessung des Spitals auf.

Der Förderverein Regionalspital Toggenburg-Watttwil schreibt:

«Ein kurzfristiges und kurzsichtiges Sanierungs-Flickwerk»

Der Förderverein Regionalspital Toggenburg Wattwil lehnt die Vernehmlassungs-Vorlage «Weiterentwicklung der Strategie der St.Galler Spitalverbunde» mit dem Modell «4plus5» als untauglich ab. Jegliche gesamtheitliche Betrachtung fehlt, der Volkswille wird missachtet, und die Regierung will einfach so die Vernichtung von Millionen von Steuergeldern hinnehmen.

Der Förderverein Regionalspital Toggenburg Wattwil fordert die St.Galler Regierung auf, vom Modell «4plus5» Abstand zu nehmen und den Strategieprozess nochmals zu öffnen. Für den Förderverein ist klar: Die von Volk und Kantonsrat 2014 beschlossene Vorlage zur Erneuerung und Erweiterung des Spitals Wattwil ist zu respektieren und, angepasst auf die aktuellen Bedürfnisse, umzusetzen. «Der bis heute bereits angerichtete Flurschaden bei den Patientinnen und Patienten, die verunsichert ausweichen, und beim Personal, das tausendfach verunsichert und in Existenzängste versetzt wurde, lässt sich schon gar nicht beziffern», ärgert sich Norbert Stieger, Vizepräsident des Fördervereins.  

Fünf Forderungen für eine versorgungsgerechte Strategie
Auch für den Förderverein ist klar: «Wenn es Überkapazitäten gibt in der St.Galler Spitallandschaft, muss logischerweise etwas gehen – aber dort, wo noch nichts entschieden und/oder namhaft investiert wurde – jedenfalls nicht so, wie es die Vernehmlassungs-Vorlage der Regierung vorsieht», erklärt Norbert Stieger. Der Verein hat deshalb fünf Forderungen formuliert:

  1. Es ist eine Strategie auszuarbeiten, die ein für das Toggenburg individuelles, versorgungsgerechtes Konzept vorsieht, dabei die spezielle topografische, geografische und verkehrstechnische Situation des Toggenburgs berücksichtigt und als neues Trägerschaftsmodell die von der Gemeinde Wattwil eingebrachte «Integrierte Gesundheitsversorgung Toggenburg» vertieft und weiterverfolgt. Anstatt dass die Regierung der Spitalregion Fürstenland-Toggenburg CHF 70 Mio. schenkt, soll sie einer eigenständigen Trägerschaft die Spitalimmobilie in Wattwil kostenlos überlassen.
  2. Diese Strategie ist auf einem umfassenden Daten-Fundament abzustützen, das transparente Standortrechnungen und die überkantonale Versorgungssituation umfasst.
  3. Der neue Strategievorschlag mit gesamtheitlicher Betrachtung soll das Kantonsspital langfristig stärken. Die Spitalregion 4 (SRFT) ist aufzulösen, das Spital Wil ist (bis auf Weiteres) der Spitalregion 1 (KSSG) zuzuweisen. Es darf keine weiteren Investitionen ins Spital Wil und/oder Finanzbeiträge an die SRFT sowie keine weiteren Verschiebungen von stationären Angeboten und/oder Mitarbeitenden von Wattwil nach Wil geben.
  4. Sollte die Idee von Gesundheits- und Notfallzentren (GNZ) trotz ihrer Untauglichkeit weiterverfolgt werden, wäre dies zuerst mit einem Pilotversuch in Wil zu machen, um Erfahrungen zu sammeln mit den Auswirkungen.
  5. Die Regierung hat dem Förderverein Regionalspital Toggenburg Wattwil endlich noch eine inhaltliche Antwort auf seine Petition «Pro Spital Wattwil» zu geben.

Kein Vertrauen mehr in die Regierung
Leider hat sich die Befürchtung bewahrheitet, die der Förderverein bereits im Juni 2018 äusserte: Die Regierung hat sich dem Diktat des Spitalverwaltungsrates unterworfen. Die Vernehmlassungsvorlage zeigt deutlich, dass dieser mit dem Grobkonzept nicht nur die generelle Stossrichtung vorgeben konnte, sondern geradezu «sakrosankte» Leitplanken. Die Regierung hat die demokratiepolitisch äusserst bedenkliche Haltung des Verwaltungsrates übernommen, gemäss welcher die Volksentscheide vom November 2014 zur Erneuerung und Sanierung der Spitäler Wattwil und Altstätten zur Makulatur verkommen.

Sind der Regierung die Volksrechte egal?
In Wattwil will die Regierung sogar in Kauf nehmen, dass die rund CHF 60 Mio., die in den neuen Bettentrakt investiert wurden, vernichtet werden. Dazu kommt, dass der Förderverein bis heute von der Regierung – abgesehen von einer rein formellen Eingangsbestätigung – keinerlei inhaltliche Antwort erhalten hat auf seine Petition «Pro Spital Wattwil». «Obwohl die Regierung alles getan hat, um unser Vertrauen in sie zu enttäuschen, sind wir nach wie vor der Meinung, dass Abstimmungsresultate und Volksrechte zu achten sind und dass der Kanton die Petition, unterzeichnet von 6'000 Personen, keineswegs ignorieren kann», hält Norbert Stieger fest.

Minimale Alternative
Vorsorglich hat der Förderverein für den Fall, dass seine Forderungen keine Beachtung finden, eine Minimalforderung formuliert: Bei Nichteintreten auf das Modell «Integrierte Gesundheitsversorgung Toggenburg» wäre minimal die SRFT aufzulösen und das Spital Wattwil entweder in einer Spitalregion Toggenburg weiterzuführen oder allenfalls der Spitalregion 3 (Spital Linth) zuzuführen. «Wir sind überzeugt, dass die Bevölkerung des Toggenburgs und des Kantons St.Gallen eine langfristig nachhaltigere und günstigere Lösung für die Vereinfachung der St.Galler Spitallandschaft verdient hat», erklärt Norbert Stieger. «Und wir sind überzeugt, dass eine solche greifbar ist, wenn sämtliche Optionen vorurteilsfrei geprüft und die besonderen Ausgangslagen und Bedürfnisse der Regionen des Kantons, namentlich der speziellen Situation im Toggenburg, berücksichtigt werden.»

Der Gemeinderat von Wattwil hat sich ebenfalls zur Regierungsvorlage geäussert und lehnt diese ab:

St.Galler Spitäler: Regierungs-Modell ist als untauglich zurückzuweisen

Das Spital-Modell «4plus5» ist für den Gemeinderat Wattwil nicht akzeptierbar. Damitwürden dem Toggenburg medizinische Unterversorgung, ein massiver Arbeitsplatzabbauund ein herber Attraktivitätsverlust drohen. Der Gemeinderat fordert die Regierung auf,das Modell fallenzulassen, eine Gesamtschau über die Kantonsgrenzen hinaus und eineStrategie auf der Basis verlässlicher Daten auszuarbeiten, die diesen Namen verdient.Nach gründlichem Studium der umfangreichen Vernehmlassungsvorlage ist für den GemeinderatWattwil klar: Der vorliegenden «Weiterentwicklung der Strategie der St.Galler Spitalverbunde»fehlt die strategische Ausrichtung gänzlich – sie ist nicht akzeptierbar.

Vorlage grundsätzlich überarbeiten
Die Vorlage ist grundsätzlich zu überarbeiten, der Prozess ist nochmals zu öffnen. Besondersstossend ist für den Gemeinderat, dass der Vorlage jegliche gesamtheitliche Betrachtung sowieinterkantonale Aspekte abgehen. Zudem blendet sie die unterschiedlichen Situationen undBedürfnisse der Regionen des Kantons vollständig aus. Der Gemeinderat fordert eine nachhaltigtragfähige Strategie mit individuellen, versorgungsgerechten Konzepten für die einzelnenRegionen. Auch neue Versorgungs- und Trägerschaftsmodelle mit nicht öffentlichen Institutionensind einzubeziehen.

Denkverbote und Grobkonzept als Prämisse
Der Gemeinderat Wattwil anerkennt, dass eine Weiterentwicklung der St.Galler Spitallandschaftnötig ist. Organisatorische und finanzielle Reformen sind zweifelsohne angesagt. Er kommtjedoch zu fundamental anderen Schlüssen als die Regierung. Die so genannte Strategie verdientdiesen Namen nicht. Eine langfristig funktionierende Strategie würde voraussetzen, dass mitoffenem Visier alle denkbaren Zukunftsszenarien berücksichtigt werden. Der Vernehmlassungsvorlage fehlt jegliche Offenheit. Sie ist offenkundig mit dem Grobkonzept des Verwaltungsratesund mit Denkverboten unterlegt, die keine Optionen ausserhalb der Vorstellungen des VRzuliessen. Alternativvorschläge wurden vom Tisch gewischt.

Drohender Versorgungsnotstand
Mit dem Modell «4plus5» würde im Toggenburg wegen des unterdurchschnittlichen ambulantenAngebotes eine Unterversorgung drohen. Es ist aus Sicht der regionalen Gesundheitsversorgung und aus wirtschaftlicher Sicht untauglich. Es blendet die spezielle topografische,geografische, verkehrstechnische Situation des Toggenburgs aus. Das Modell basiert weder aufstandortspezifischen Patienten- und Betriebsdaten, noch sind interkantonale Patientenströmeberücksichtigt. «Einen so einschneidenden Strategieentscheid ohne Standortdaten zu fällen, istunverantwortlich», hält Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner fest. «Die freie Spitalwahl zieltauf funktionale Räume. Es ist geradezu fahrlässig, die interkantonalen Patientenimporte und -exporte auszublenden.» Der Gemeinderat Wattwil lehnt das Modell ab und fordert, dass dieVorlage aus einer gesamtheitlichen, versorgungsorientierten Optik und auf der Basis vonumfassenden, transparenten Daten mit standortspezifischen Rechnungen, Patienten- undBetriebsdaten sowie interkantonalen Patientenströmen überarbeitet wird.

Zentrumsspital nachhaltig stärken
Die Regierung will das Kantonsspital als Schwerpunkt- und Zentrumsspital für diehochspezialisierten medizinischen Angebote stärken. Das ist für den Gemeinderat Wattwilnachvollziehbar und richtig. Der nun vorliegende Vorschlag ist jedoch weder gesundheitspolitischnoch betriebs- und volkswirtschaftlich sinnvoll – zumal die offensichtliche Überversorgung aufder Achse Rorschach-Wil bestehen bliebe und noch ausgebaut werden soll. Zusätzlich zu denFr. 60 Mio., die bereits in Wattwil investiert wurden, sollen weitere Fr. 170 Mio. für einen Neubauin Wil und ein Eigenkapitalbeitrag an die SRFT von Fr. 10 Mio. vernichtet werden. «DieRegierung will explizit in Kauf nehmen, dass die SRFT auch künftig nicht überlebensfähig seinwird. Sie kündet bereits heute das Scheitern des Modells an», konstatiert Alois Gunzenreiner.Das ist ein Affront für alle Steuerzahlerinnen und -zahler im Kanton und für die ToggenburgerBevölkerung.»

Spitalregion Fürstenland-Toggenburg auflösen
Der Gemeinderat Wattwil fordert, dass von weiteren Investitionen abzusehen ist und derStandort Wil der Führung des Kantonsspitals zu unterstellen ist. Für Wattwil ist das Modell«Integrierte Gesundheitsversorgung Toggenburg» mit eigenständiger Trägerschaft zu vertiefenund weiterzuverfolgen. «Wenn die Regierung der SRFT Fr. 70 Mio. schenken könnte, kann sieauch einer eigenständigen Trägerschaft im Toggenburg die Spitalimmobilie in Wattwil kostenlosüberlassen – nicht zuletzt auch mit Blick darauf, dass die Liegenschaft bei der Umwandlung vomGemeindespital in ein Spital des Kantons bereits unentgeltlich von der Gemeinde an den Kantonging», fasst Alois Gunzenreiner zusammen. «Und falls die Regierung trotz aller klar ersichtlichenVorteile nicht auf unser Modell einsteigen will, wäre für Wattwil die Weiterführung als SpitalregionToggenburg oder allenfalls eine Integration in die Spitalregion 3, das Spital Linth, zu prüfen.»

«GNZ» höchstens als Pilotversuch in Wil
Aus Sicht des Gemeinderates sind auch die regionalen Gesundheits- und Notfallzentrum (GNZ),wie eines in Wattwil vorgesehen ist, untauglich. Allein die geplante minimalistische personelleund medizinische Ausstattung zeigt, dass damit keine qualitativ hochstehende Medizin mitteilweiser stationärer Behandlung möglich ist. Die GNZ können weder die medizinischenBedürfnisse der Bevölkerung erfüllen noch wirtschaftlich geführt werden. Zudem würde der Staatmit den GNZ die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte konkurrenzieren und damit die Regionauch für neue Hausärztinnen und -ärzte unattraktiv machen. Sollten solche GNZ dennoch einThema bleiben, könnte allenfalls – da die SRFT als nicht überlebensfähig beurteilt wird – in Wilein Pilotversuch vorgesehen werden, um mehr Wissen und Erfahrungen über die Nutzung, dieKosten, das benötigte Personal und die Verschiebungen der Patientenströme zu erhalten.

Minimal ein «MedPlus»-Spital

Am Spital Wattwil wurden wiederholt Fakten geschaffen, um es systematisch auszuhungern. DerGemeinderat ist nach wie vor überzeugt, dass sein alternatives Modell «IntegrierteGesundheitsversorgung Toggenburg» mit dem «Spital Wattwil 2021» im Zentrum für dasToggenburg wie auch für den Kanton die richtige Lösung ist. Sollte keine der Forderungen desGemeinderates erfüllt werden, wäre zumindest das Angebot eines «MedPlus-Spitals»vorzusehen, wie es die «St.Galler Spitalkonferenz» der Standortgemeinden mit Medienmitteilungvon Ende November gefordert hat.

«MedPlus»-Angebot

Basisangebot: Allgemeine und Innere Medizin stationär und ambulant, Altersmedizin (Akutgeriatrie, geriatrische Rehabilitation), 24h-Notfall/INP in Zusammenarbeit mit den Ärzt/innen der Region, elektiv und/oder ambulant betriebener OPS und Spezialsprechstunden;

Zusatzangebot Wattwil: PSA/Suchttherapien, Psychosomatik, Onkologie, Schmerzklinik, Labor und Röntgen, Gemeinschaftspraxis, Spitex, Physio- und Ergotherapie Logopädie.

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