Home Region Sport Schweiz/Ausland Rubriken Agenda
Kanton
09.01.2025

Lob und Tadel für Lektionenabbau

Klassenlehrkräfte unterrichten im Kanton St.Gallen ab dem Schuljahr 2025/26 eine Wochenlektion weniger. (Symbolbild)
Klassenlehrkräfte unterrichten im Kanton St.Gallen ab dem Schuljahr 2025/26 eine Wochenlektion weniger. (Symbolbild) Bild: Pexels: RDNE Stock projekt
Zur Entlastung der Klassenlehrer streicht die St.Galler Regierung Lektionen an der Volksschule. Lehrer, Schulträger, Gemeindepräsidien, FDP und Die Mitte reagieren unterschiedlich.

Lehrerverband kritisiert «Hauruckübung»

Diese Woche hat der Regierungsrat des Kantons St.Gallen die Anpassung der Lektionentafeln der Volksschule genehmigt und kommuniziert. Es sollen per Schuljahr 2025/26 je vier Lektionen auf der Primar- und auf der Oberstufe gestrichen werden. Dadurch sparen die Schulträger/Gemeinden rund sechs Millionen Franken jährlich auf Kosten der Schülerinnen und Schüler.

Fehlender Einbezug der Verbände

Für den Kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerverband KLV St.Gallen ist diese Anpassung eine Hauruck-Übung. Aufgrund des Drucks des Verbands der St.Galler Volksschulträger suchte der Bildungsrat in kurzer Zeitspanne nach Möglichkeiten, wie durch Streichen von Lektionen der Schülerinnen und Schüler der finanzielle Aufwand für die Schule verkleinert werden kann. In seinem Beschluss stützt sich nun die Regierung auf Antrag des Bildungsrats, genau wie der SGV, lediglich auf das zu erreichende Sparvolumen ab. Der KLV St.Gallen vermisst im Entscheid die pädagogischen Überlegungen, welche zu den Kürzungen geführt haben.

Zudem kritisiert der KLV St.Gallen, dass dem Entscheid keine ordentliche Vernehmlassung bei den Akteurinnen und Akteuren der Bildungspolitik vorangegangen ist. Dies ist bei weitreichenden Entscheidungen üblich und ermöglicht besser verständliche sowie besser abgestützte Entscheide.

Interkantonale Richtwerte werden immer mehr unterschritten

Bereits heute bewegen sich die Lektionenzahlen der Primarschule im Bereich von Natur, Mensch und Gesellschaft (NMG) und Französisch unterhalb der Vorgaben des Deutschweizer Lehrplans 21. Mit den beschlossenen weiteren Kürzungen von NMG in der 4. Klasse und Französich in der 5. Klasse wird die Situation verschärft. Mit der Kürzung von Musik in der 6. Klasse fällt der Kanton St.Gallen ebenfalls unter den Richtwert. In der 3. Oberstufe (je bei Sek, Real und Kleinklasse) wird eine Lektion bei den individuellen Schwerpunkten gestrichen, welche die Schülerinnen und Schüler nach Interesse wählen können. Dies könnte zu Lasten des musisch-gestalterischen Fachbereichs gehen. Zusätzlich werden in der Beruflichen Orientierung der 3. Real eine Lektion gekürzt und die Vorgaben bei den Wahlfächern reduziert.

Auch der Lehrplan muss gekürzt werden

Für den KLV St.Gallen ist klar: Eine Kürzung in der Stundentafel erfordert auch eine Abspeckung der Lehrplaninhalte. Mit weniger Unterrichtsstunden in den gekürzten Fächern können nicht mehr dieselben Kompetenzen erreicht werden. Schliesslich darf die Kürzung der Lektionen nicht dazu führen, dass in weniger Zeit dasselbe gelehrt und gelernt werden muss und dadurch die Belastung von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern erhöht wird. Es braucht daher zwingend Kürzungen im Lehrplan.

Heikler Sparentscheid

Die Arbeit in der Schule wird stetig aufwändiger. Dies merken vor allem die Klassenlehrpersonen, die in der Beratung der Schülerinnen und Schüler ausserhalb des Unterrichts sowie in der Zusammenarbeit mit Eltern und Fachpersonen immer mehr zu tun haben. Um den stetig wachsenden Arbeitsaufwand der Klassenlehrpersonen abzugelten, hat der Bildungsrat im Juni 2024 gut begründet beschlossen, ihnen ab Schuljahr 2025/26 eine zweite Entlastungslektion zu gewähren. Der Bildungsrat anerkennt dadurch ihre wichtige Aufgabe.

Der aktuelle Sparentscheid mit der Kürzung von Lektionen wird nun so begründet, dass ein Teil der Mehrkosten verursacht durch die Entlastung der Klassenlehrpersonen aufgefangen werden soll. Dass dies zu einem Teil auf dem Buckel der Kinder und Jugendlichen (weniger Bildungszeit) erfolgen soll, ist aus Sicht des KLV St.Gallen der falsche Ansatz. Der Aufwand in der Volksschule wächst vor allem aufgrund von äusseren Faktoren (wachsende Zahl von Schülerinnen und Schülern, steigender Förderbedarf, schlechtere sprachliche und soziale Ressourcen der Kinder etc.). Mit einem solchen Sparentscheid gefährdet die Regierung die Bildungsqualität im Kanton St.Gallen.

Kantonaler Lehrerinnen- und Lehrerverband St.Gallen (KLV)

Volksschulträger und Gemeindepräsidien zufrieden

Unsere beiden Verbände unterstützten den Beschluss des Bildungsrates von vergangenem Sommer, die Funktion der Klassenlehrpersonen mit einer zusätzlichen Entlastungslektion zu stärken.

Gleichzeitig kritisierten der Verband St.Galler Gemeindepräsidien (VSGP) und der Verband St.Galler Volksschulträger (SGV) vehement, dass der Bildungsrat als kantonales Gremium einen Entscheid fällt, dessen Kosten- und Personalfolgen alleine von den Schulträgern getragen werden muss. Die Entlastung der Klassenlehrpersonen hätte für die Schulträger über den ganzen Kanton verteilt Kosten von 13.4 Mio. ausgelöst und die Abdeckung von zusätzlichem Unterrichtspensum im Umfang von über 100 Vollzeitstellen erfordert – dies bei herrschendem Lehrpersonenmangel. Deshalb forderten wir vom Bildungsdepartement, mit einer Reduktion der Lektionentafel dafür zu sorgen, dass diese Kosten- und Personalfolgen aufgefangen werden.

Entscheid für Verbände im schweizweiten Vergleich gut vertretbar

Nun haben Bildungsrat und Regierung auf das berechtigte Anliegen reagiert und die Kürzung der Lektionentafel auf das Schuljahr 2025/26 beschlossen. Bezüglich der betroffenen Fachbereiche und Klassen sind sie weitgehend einem Vorschlag gefolgt, welchen unsere beiden Verbände eingebracht haben. Entsprechend zufrieden sind VSGP und SGV mit diesem Entscheid. Wir sind überzeugt, dass er mit Blick auf die Gesamtschweiz, demgemäss St.Galler Schülerinnen und Schüler heute ungefähr eine Stunde pro Woche mehr zur Schule gehen als der schweizerische Durchschnitt, gut vertretbar ist. Die Reduktion entlastet nebst den Schulträgern auch die Schüler/-innen und erfüllt trotzdem nach wie vor die Deutschschweizer Vorgaben des Lehrplans 21.

Erhebliche finanzielle Entlastung für Schulträger

Sicher hätten es VSGP und SGV vorgezogen, mit einer Reduktion auf allen Klassenstufen die finanziellen und personellen Aufwände für die Gewährung der zusätzlichen Entlastungslektion für Klassenlehrpersonen vollständig zu kompensieren. Mit der Teilkompensation sind wir insofern zufrieden, als dass diese die Schulträger finanziell erheblich entlastet.

Und bezüglich des personellen Mehrbedarfes zählen VSGP und SGV darauf, dass die allenfalls verbleibende, eine zusätzlich abzudeckende Lektion pro Klasse von einer Lehrperson übernommen wird, welche im Teilpensum schon angestellt ist.

Verband St.Galler Volksschulträger (SGV) & Verband St.Galler Gemeindepräsidien (VSGP)

Die Mitte begrüsst «pragmatische» Reduktion

Ab dem Schuljahr 2025/26 unterrichten Klassenlehrpersonen eine Lektion weniger. Dafür wird die Lektionentafel um eine Lektion reduziert.

Die Entlastung der Klassenlehrpersonen ist für die Mitte unbestritten nötig. Neben dem Unterricht der Klasse sind diese Personen auch Schnittstellen zu Eltern, Fachstellen und Therapeuten, haben zudem verschiedene administrative und koordinative Aufgaben. Dieser Schritt ist damit längst fällig und notwendig.

Reduktion der Lektionentafel ist richtig

Heute haben St.Galler Kinder im Vergleich zu anderen Kantonen durch eine überdurchschnittliche Dauer der Lektionen und einer höheren Anzahl derselben deutlich mehr effektive Unterrichtszeit. Vor diesem Hintergrund ist die Reduktion der Anzahl Lektionen nicht nur der pragmatische, sondern auch der sinnvollste Weg, die Klassenlehrpersonen zu entlasten.

Ohne diese Reduktion hätten für die Gemeinden deutlich höhere Kosten resultiert und die Schaffung von über 100 Vollzeitstellen bedeutet. Beides ist aktuell weder einfach zu stemmen noch im Sinne der Schulträger. Die Mitte begrüsst deshalb die Reduktion der Lektionentafel ausdrücklich.

Totalrevision Volksschulgesetz – pragmatische Lösungen im Interesse aller

Die Mitte Kanton St.Gallen wird sich in den nächsten Monaten intensiv mit der anstehenden Totalrevision des Volksschulgesetzes beschäftigen. Die Anliegen der Lehrpersonen, der Schulträger sowie der Schülerinnen und Schüler und Eltern sollen, wo immer möglich mit pragmatischen Lösungen gleichermassen berücksichtigt werden. Dafür wird sich Die Mitte einsetzen.

Die Mitte Kanton St.Gallen

FDP kritisiert «halbherzigen Entscheid»

Für die FDP als Bildungspartei ist eine funktionierende, zukunftsgerichtete Volksschule eine Herzensangelegenheit. Die Freisinnigen begrüssen es vor diesem Hintergrund auch, dass Klassenlehrpersonen ab dem Schuljahr 2025/26 eine zweite Entlastungslektion erhalten sollen.

Mehr Zeit für Schülerinnen und Schüler

Damit soll bei der täglichen Arbeit vor allem mehr Zeit für die Schülerinnen und Schüler sowie die Zusammenarbeit mit den Eltern bleiben. Der administrative Aufwand darf jedoch keinesfalls zunehmen. Die FDP anerkennt die wichtige Arbeit der Klassenlehrpersonen und ist überzeugt, dass mit diesem Schritt die Bildungsqualität in den St.Galler Schulen gestärkt werden kann.

Lehrpersonenmangel wird weiter verschärft

Die Umsetzung der zweiten Entlastungslektion ohne Begleitmassnahmen würde sowohl Herausforderungen bei der Besetzung der zusätzlichen Stellen – 100 Vollzeitstellen wären trotz akutem Lehrpersonenmangel nötig – als auch Mehraufwände zulasten der Gemeinden mit sich bringen.

Die FDP forderte den Bildungsrat daher im Sommer auf, die Pflichtlektionen der Schulkinder zu reduzieren, um die Personal- und Kostenfolgen abzufedern. Dass dies ohne Probleme umsetzbar wäre, zeigt ein Blick in den Kanton Thurgau. Zudem zeigt der schweizweite Vergleich, dass die Mehrheit der Kantone sehr gut mit einer niedrigeren Lektionenzahl bei gleicher Bildungsqualität zurechtkommt, was auch zu einer Entlastung der Schulkinder führt.

Mutloser Entscheid des Bildungsrats

Mit der Kommunikation in dieser Woche ist der Bildungsrat dieser Forderung der FDP teilweise nachgekommen. Beschlossen wurde eine Reduktion der Stundentafel, die zu tieferen Mehrausgaben bei den Gemeinden von mindestens 6.15 Mio. Franken führen wird. Die Medienmitteilung schweigt leider jedoch zur Zahl der Vollzeitstellen, die trotz der Anpassung neu besetzt werden müssen. Aus den Kostenfolgen lässt sich ableiten, dass es sich um etwa 40 Vollzeitstellen handeln dürfte und das beim aktuellen Lehrpersonenmangel.

FDP sieht weiteren Handlungsbedarf

Aus Sicht der FDP reicht diese halbherzige Anpassung nicht aus. Trotz einem unverändert grossen Spielraum innerhalb der Lehrplan-21-Empfehlungen* entscheidet sich der Bildungsrat für einen Weg, der den Lehrpersonenmangel weiter verschärft. Zu Recht darf die Frage gestellt werden, ob dadurch ein Teil der Entlastung der Lehrpersonen gleich wieder zunichte gemacht wird. Ein weiterer Ansatzpunkt wäre gewesen, wie von der FDP gefordert, das Fach Französisch erst auf der Oberstufe anzusiedeln (vgl. Interpellation 51.24.65).

Für die FDP ist daher klar, dass der Kantonsrat weiteren Druck zur Reduktion der Pflichtlektionen und für eine kostenneutrale Lösung ausüben muss. Dies soll insbesondere auch als Chance verstanden werden, die Schulkinder zu entlasten und den Fokus – insbesondere auf Primarschulstufe – wieder stärker auf die Basiskompetenzen zu legen.

*Anmerkung

Der Lehrplan 21 gibt für Primarschülerinnen und -schüler eine Gesamtspanne von 161 bis 173 Lektionen pro Woche summiert über alle Jahre der Primarschulzeit an. Mit der aktuellen Reduktion um vier Lektionen resultieren im Kanton St.Gallen neu 167 Lektionen.

Für Oberstufenschülerinnen und -schüler gibt der Lehrplan 21 eine Gesamtspanne von 99 bis 105 Lektionen pro Woche summiert über alle Jahre der Oberstufenzeit an. Mit der aktuellen Reduktion um drei Lektionen resultieren im Kanton St.Gallen neu 103 Lektionen. (Quelle)

FDP Kanton St.Gallen

Redaktion Linth24