Beim Einstieg in die Berufswelt sind Jugendliche mit Behinderungen häufig mit Hürden konfrontiert. Statt ihrer Stärken werden oftmals Defizite gesehen; was durch ein Zeugnis der Sonderschule noch bestärkt wird.
Eine aktuelle Umfrage von EnableMe zeigt auf, dass der Weg zur inklusiven Berufsbildung in der Schweiz noch weit ist. Besonders Schüler aus Sonderschulen haben einen schweren Stand beim Einstieg in die Berufswelt. «Bei den Lernenden der Sonderschule ist ganz klar die Erwartung da, dass sie im geschützten Arbeitsmarkt eine Anschlusslösung finden», so Silvan, der als schulischer Heilpädagoge arbeitet.
Deshalb werden die meisten direkt nach der Schule in den zweiten Arbeitsmarkt eingegliedert und erhalten unter Umständen keine Möglichkeit mehr, in den regulären zu wechseln. Und die wenigen, die eine EBA- oder EFZ-Ausbildung absolvieren möchten, schaffen es nicht ohne Beziehungen ihrer Eltern oder Lehrpersonen. Oder wie es Projektmitarbeiter und schulischer Heilpädagoge Michel Lanker beschreibt: «Ohne ein gutes Netzwerk ist es nahezu unmöglich, eine Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt zu starten. Diese Möglichkeit haben allerdings die wenigsten Jugendlichen.»
Positive Rückmeldungen und trotzdem keine Stelle
So das Beispiel von Corina (Name geändert), die eine Lernbehinderung, aber sehr gute soziale Kompetenzen hat. Sie konnte diverse Schnupperlehren absolvieren und bekam positive Rückmeldungen. Da sie auf keine Kontakte zurückgreifen konnte, musste sie allerdings nach zahlreichen Bewerbungen ihren Traum, im Detailhandel zu arbeiten, aufgeben.
«Betriebe wählen schlussendlich meistens den Bewerber mit den stärksten Beurteilungen. Die Bedingungen für eine Schülerin aus der Sonderschule sind hier sehr schwer, da sie keine Noten, sondern nur einen Lernbericht hat», so Silvan.
Beziehungen als Türöffner
Ähnlich ging es auch dem Sonderschüler Milan (Name geändert): «Mir wurde oft gesagt, dass ich nicht im ersten Arbeitsmarkt arbeiten kann.» Zeitweise habe er deshalb selbst nicht mehr an sich geglaubt. Auf seinem steinigen Weg in den ersten Arbeitsmarkt bekam er von seinem Umfeld nur wenig Unterstützung.
So hat sich beispielsweise auch sein damaliger IV-Berufsberater aus dem Prozess zurückgezogen, da er diesen Weg für Milan nicht mitverantworten wollte. Erst nach unzähligen Bewerbungen hat er endlich ein Unternehmen gefunden, das ihm eine Vorlehre im ersten Arbeitsmarkt angeboten hat. Dies war sein Sprungbrett. Dank der Kontakte seines Berufsschullehrers konnte er anschliessend eine Lehrstelle im ersten Arbeitsmarkt finden.
Orientierung an vermeintlichen Defiziten statt Ressourcen
Der Grund, weshalb Inklusion in vielen Lehrbetrieben noch nicht gelebt wird, liegt hauptsächlich daran, dass Risiken und Defizite statt Chancen und Fähigkeiten gesehen werden. Darüber hinaus gibt es noch immer viele Vorurteile bezüglich der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Die vorherrschende Meinung, es sei ressourcenaufwendig, Menschen mit Behinderungen einzustellen, wird von Studien widerlegt. Gemäss diesen haben inklusive Unternehmen nämlich sogar nachhaltige Wettbewerbsvorteile.
Des Weiteren fehlt teilweise das Wissen über behinderungsbedingte Unterstützungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz. So erhalten Jugendliche beispielsweise durch ein Job Coaching individuelle und bedarfsorientierte Unterstützung. Langfristig könnten so Gelder umverteilt werden, die bisher in den zweiten Arbeitsmarkt geflossen sind; ähnlich wie es derzeit bei der Subjektfinanzierung im Bereich Wohnen geschieht.