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Kanton
25.07.2024
26.07.2024 06:26 Uhr

Die brutale Seite des Säntis

Victor Rohner und Kuno Bont – die kreativen Köpfe hinter dem ambitionierten Filmprojekt
Victor Rohner und Kuno Bont – die kreativen Köpfe hinter dem ambitionierten Filmprojekt Bild: Victor Rohner
Säntisträger zu sein bedeutete, jeden Tag mit dem eigenen Leben zu spielen. Denn der Berg ist tückisch, tödlich und brutal. Die beiden Rheintaler Victor Rohner (Produzent und Regie DOK) und Kuno Bont (Regie Fiktion und künstlerischer Leiter) setzen mit ihrem Doku-Drama «Die stillen Helden vom Säntis» diesem Beruf ein Denkmal.

«Die stillen Helden vom Säntis ist ein Dokudrama über die sogenannten Säntisträger», eröffnet Rohner das Gespräch. «Wir wollen ihnen mit diesem Film ein Denkmal setzen.» Doch wer sind diese ominösen Säntisträger und was machen Sie? «Das sind ganz einfache Leute gewesen. Bauern aus dem Appenzellerland und vom Rheintal hauptsächlich. Sie trugen das ganze Jahr hindurch verschiedenste Materialien auf den Säntis.»

Streit auf engem Raum 

Das designierte Ziel: «Die damals neu erbaute Wetterstation. 1879 wurde an einem Kongress der Meteorologen entschieden. Die versammelten Experten einigten sich darauf, dass man zur Erforschung des Wetters unbedingt in luftige Höhen muss.» Der Säntis sei mit seiner sehr exponierten Lage und den häufigen Wetterwechseln daher prädestiniert gewesen.

«Also baute man dort die besagte Wetterstation. Initiiert wurde der Bau durch die Meteorologische Zentralanstalt.» Die Station wurde 365 Tage im Jahr betreut. «Anfangs waren es noch alleinstehende Wissenschaftler, die sich bei Wind und Wetter auf sehr engem Raum zurechtfinden mussten.

Bild: Victor Rohner

Doppelmord auf dem Säntis

Doch ein Konflikt wird der Schweiz bis heute im Gedächtnis bleiben: Es geschah im Jahre 1922. Ein abgewiesener Bewerber auf den Posten als Wetterwart bestieg den Berg bei höchster Lawinengefahr und erschoss dort das Wetterwarte-Ehepaar. Fünf Tage dauerte es, bis der Mord entdeckt wurde. «Der mutmassliche Mörder wiederum konnte ebenfalls gefunden werden. Er hat sich in einer Hütte unterhalb der Schwägalp erhängt und sich dadurch der Verurteilung entzogen.»

Der Fall sorgte für viel Aufsehen. «So viel, dass 1990 ein Spielfilm mit dem Namen DER BERG erschien. Dieser stellte den Mörder als Appenzeller dar, obwohl er in der Realität ein Deutscher war. Das sorgte für Empörung. Der Film wurde auf dem Pilatus gedreht, die Rollen vertauscht. Nicht Kreuzpointner, sondern der Wetterwart wurde zum Mörder . In den Ostschweizer Medien wurde von «Sensationshascherei übler Art» berichtet.

Natur fordert viele Todesopfer

Rohner wiederum ist selber auch Filmemacher. So arbeitete er unter anderem für den SRF und produzierte und moderierte 120 Sendungen, die grösstenteils im Alpstein spielten und im TVO und anderen Regionalen TV-Stationen sehr erfolgreich ausgestrahlt worden sind.
«Dabei wurde mir von Appenzellern immer wieder gesagt, dass ich doch mal einen richtigen Film machen soll», lacht laut. So ist dann die Idee des Filmes über die stillen Helden entstanden. «Wir begleiten im Film die wortkargen Träger, deren Lebensinhalt darin bestand, bei Wind und Wetter auf den Säntis zu steigen. Sie mussten der Natur trotzen und die extremsten Bedingungen aushalten. Nicht wenige davon sind gestorben.»

Die häufigste Todesursache war natürlich das Wetter. Aber auch Lawinen und Steinschläge konnten die Träger aus dem Nichts überraschen und sie in den Tod reissen. Neben Lawinen forderte aber auch die Einsamkeit viele Opfer. «Viele Forscher mussten das Programm abbrechen, weil sie mit der Einsamkeit einfach nicht klargekommen sind. Daher veranlasste die Regierung eines Tages, dass fortan nur noch Ehepaare auf dem Säntis arbeiten dürfen. Man ging davon aus, dass dadurch das Leben und Arbeiten der Wetterwarte auf dem Säntis verträglicher und die psychische Belastung geringer sein würde.»

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Den Helden ein Denkmal setzen

Auch wenn das mittlerweile schon über 100 Jahre her ist, so hat man die Geschichte dennoch nicht vergessen und will sie in die heutige Zeit weitertragen. «Daher mache ich gemeinsam mit Kuno Bont diesen Film. Wir wollen den Helden ein Denkmal setzen und ihre sehr beschwerliche Arbeit zugunsten der Allgemeinheit aufzeigen. Schliesslich dauert es von Wasserauen auf den Säntis rund fünf Stunden, wenn man denn sportlich ist. Und dazu kommen auch noch das schwere Gepäck und die mangelhafte Ausrüstung.» Auch wenn der Säntis also vergleichsweise niedrig ist, so ist er dennoch eine unglaublich grosse Hürde.

Glücklicherweise konnten Rohner und Bont jedoch für Ihr Material auf die Schwebebahnen und den Lastentransport zugreifen. «Denn für die Säntisträger sind wir etwas zu spät», sagt Rohner und lacht. Dennoch war es ein riesiger logistischer Aufwand. «Die ganzen Dreharbeiten auf dem Säntis machten uns wirklich zu schaffen. Denn sämtliches Material muss erst einmal hier hochgeschafft und anschliessend eingerichtet werden. Ausserdem waren wir dem Berg ausgeliefert, wenn das Wetter mal nicht mitspielte. Immerhin konnten wir dann in der Bergstation Schutz suchen. Früher konnte man das nicht.»

Im Interview ist spürbar, dass es sich um ein Herzensprojekt handelt. «Wir machen das alle mit Leib und Seele und investieren viel Zeit, damit wir gemeinsam so ein tolles Kinoerlebnis schaffen können.» Möglich macht dies eine Mischung aus professionellen und Laien-Schauspielern. «Sie alle sind immer mit vollem Einsatz dabei.» Umso spannender wird natürlich die feierliche Premiere des Films, Ende November 2024.»

Bild: Victor Rohner

Eigens komponierte Film-Musik

Der Film befindet sich mittlerweile bereits in der Postproduktion und wird im November erscheinen. Bevor es aber so weit ist, wird er noch ordentlich bearbeitet – und er bekommt gar eine eigene Filmmusik. «Am Anfang dachten wir noch, dass wir einfach fertige Musik nehmen und diese dann einsetzen. Schnell haben wir aber gemerkt, dass dieser Film eine richtige musikalische Untermalung braucht.» Daher wird nun der Appenzeller Thomas Biasotto den Film musikalisch untermalen. «Auch er kommt aus der Region. Es ist mir nämlich wichtig, dass wir einen reinen Ostschweizer Film machen werden. Nachhaltigkeit und Regionalität stehen dabei an erster Stelle.»

Der Film selbst wiederum soll einige sehr dramatische Stellen haben, die entsprechend untermalt werden wollen. «Wir sind sehr gespannt, wie Biasotto diese anforderungsreiche Aufgabe löst. Nicht zu unterschätzen ist der Wechsel von klassischer Filmmusik zur Appenzeller Volksmusik. Hier steht Barbara Betschart vom Roothuus in Gonten beratend zur Seite. Mir ist es wichtig, dass die Musik in einer solchen Szene auch entsprechend dramatisch klingt. Denn Musik vermittelt Gefühle und unterstützt das Bild. Gemeinsam wird ein Erlebnis geschaffen, das man so schnell nicht wieder vergessen wird.»

Musik ist eine eigene, separate Mitteilungseben, sagt Kuno Bont, der künstlerische Leiter. Viele Leser werden sich beispielsweise bestimmt an das Lied «First Step» von Interstellar erinnern; dieses markante und unvergessliche Klaviersolo. Den älteren Personen wird beispielsweise auch «Stayin’ alive» von Saturday Night Fever in Erinnerung bleiben. Und den Jüngeren unter uns: «My heart will go on» vom Film Titanic.

Bild: Victor Rohner

Ostschweizer erzählen Ostschweizer Geschichten

Was alle diese Lieder gemeinsam haben: Nicht nur sind sie herausragend geschrieben und komponiert, sondern untermalen auch auf virtuose Art und Weise die Bilder auf dem Bildschirm. Und genau das soll jetzt auch für den Film von Rohner und Bont geschehen. «Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir kein Hollywood-Budget haben, aber wir machen das Beste aus den Mitteln, die wir haben und wollen den Zuschauern etwas bieten, was ihnen noch lange im Gedächtnis bleiben wird.»

Doch warum entscheidet sich jemand, der auch schon im berühmt-berüchtigten Himalaya unterwegs war, ausgerechnet für einen vergleichsweise kleinen Berg, der noch nicht mal zu den Viertausendern gehört und wohl kaum eine grössere Bedeutung haben kann? «Zuerst einmal muss ich etwas klarstellen. Auch wenn der Säntis klein ist, so hat er dennoch eine internationale Bedeutung. Nur schon, weil man sich hier international darauf geeinigt hat, die wichtigste Wetterstation Europas zu errichten. Ausserdem, weil er auch von Deutschland und Österreich aus zu sehen und damit ein Wahrzeichen für die Schweiz ist.»

Natürlich gäbe es andere Berge, die sicher spannender wären und auch mehr Zuschauer in den Kinosaal locken würden, doch das ist nicht der Anspruch. «Wir wollen unseren Helden ein Denkmal widmen. Aufzeigen, was die Appenzeller geleistet haben – und nicht eine Geschichte erzählen, die es so schon oft gab. Wir sind Geschichtenerzähler aus der Ostschweiz und bringen Ostschweizer Geschichten.»

Fabian Alexander Meyer, StGallen24