Manch Blicke sind Mica Thonak gewiss – in seiner Wandergesellen-Kluft fällt er im Stiftsbezirk St.Gallen sofort auf. Es ist mittlerweile die zweite Woche, die er sich hier aufhält und im Dachgeschoss des Schulflügels bei den laufenden Umbauarbeiten mitanpackt. Ob Kreissäge, Schnellnagler oder Akkuschrauber, Mica Thonak weiss mit Maschinen und Werkzeugen umzugehen, er ist ausgebildeter Zimmermann.
Wie es die nach wie vor verbreitete Tradition im Baugewerbe will, hat er sich entschieden, nach dem erfolgreichen Lehrabschluss auf die Walz zu gehen. «Dabei muss ich mindestens drei Jahre und einen Tag unterwegs sein» erzählt der 20-Jährige. Drei Monate hat er bisweilen geschafft. Von seiner Heimat Flensburg in Norddeutschland führte ihn der Weg mit Autostopp und nach Zwischenstationen wie Hamburg, Bremen, Köln sowie dem Allgäu in die Schweiz. Seine Präsenz im Stiftsbezirk hat nahezu symbolischen Charakter: Berufliches Traditionsbewusstsein trifft auf kulturelles Erbe.
Auf der Strasse angesprochen worden
Wie der Wandergeselle erzählt, wohnt er seit seiner Ankunft in der Gallusstadt Mitte April in einer Unterkunft, die er über die Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen Deutschlands fand. Ziel dieser Vereinigung ist es, die Gesellen bei ihren Reisen zu unterstützen und zu fördern. Während der ersten Zeit in der Ostschweiz fand Mica Thonak Arbeit im Bereich des Scheunenbaus. «Als ich dann eines Tages durch die Stadt St.Gallen lief, hat mich jemand angesprochen, der den Chef des Unternehmens kennt, für das ich nun arbeiten darf.» Er sei dann einfach zu dieser Holzbaufirma hingegangen und habe sofort anfangen können.
«Es ist für mich etwas sehr Spezielles und eine neue Erfahrung, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der auf der Walz ist», sagt Zimmermann Fabian Rechsteiner, der in der ersten Woche Mica Thonak in die Arbeiten einführte. Auch wenn der Wandergeselle durchaus noch das eine oder andere dazulernen müsse und die qualitativen Ansprüche in der Schweiz wohl etwas höher seien als in Deutschland, so gibt sich Rechsteiner sehr zufrieden mit dem Mitarbeiter auf Zeit. «Angesichts der vielen Arbeit sind wir auch froh um jede Hilfe.»