Im letzten Jahr wurden in der Schweiz 42 Fussgänger getötet und 476 schwer verletzt. Das berichtet das Bundesamt für Strassen (ASTRA). Würde diese Opferzahl bei einem Terrorangriff erreicht, wäre der Aufschrei gross und eine nationale Trauerwoche das Ergebnis. Nicht so bei Unfällen mit Fussgängern als Opfer.
(10 Meldungen über Fussgängerunfälle der letzten drei Monate am Ende des Artikels)
Eine von vielen Meldungen
Die Polizeimeldungen klingen oft banal und verbergen die Tragik. So auch diese aktuelle Meldung der Kantonspolizei Zürich:
«Bei einer Kollision zwischen einer Fussgängerin und einem Personenwagen am Montagmittag, 18.März 2024 in Oetwil am See hat die Passantin lebensbedrohliche Verletzungen erlitten. Sie ist in der Nacht auf Dienstag im Spital verstorben. Kurz vor Mittag ein 19-jähriger Automobilist auf der Esslingerstrasse Richtung Oetwil am See. Kurz nach dem Ortseingang betrat eine 35-jährige Fussgängerin unvermittelt die Fahrbahn. Sie wurde vom Personenwagen erfasst und erlitt schwerste Verletzungen. Die genaue Unfallursache ist zurzeit nicht geklärt und wird durch die Kantonspolizei Zürich und die zuständige Staatsanwaltschaft untersucht.»
Was bei dieser Meldung auffällt: Die Formulierung «Fussgängerin betrat unvermittelt die Fahrbahn» entspricht einer Vorverurteilung der Fussgängerin, bevor die Untersuchung abgeschlossen ist und beruht vermutlich auf der Aussage des 19-jährigen Fahrers.
Fussgänger sind kein Freiwild
Gegenüber den Jahren 2020 bis 2022 ist die Zahl der Unfälle gegen die schwächsten Teilnehmer am Verkehr stark angestiegen. Der Verein «Fussverkehr» nimmt diese alarmierenden Erkenntnisse auf und kommt zum Schluss, dass die Massnahmen gegen das Coronavirus, insbesondere das vermehrte Homeoffice, in den Jahren 2020–2022 einen positiven Einfluss auf die Unfallzahlen im Fussverkehr hatten.
Doch damit sei es nun vorbei und die Politik versage in weiten Teilen.
Mit Tempo 30 gegen Todesfälle
Der Verein schreibt: «In Anbetracht der Zunahme der getöteten und schwerverletzten Fussgänger nimmt Fussverkehr Schweiz mit Befremden zur Kenntnis, dass das Parlament den Einsatz von Tempo 30 beschneiden möchte. Damit werde eine effiziente und kostengünstige Massnahme eingeschränkt, mit der viel Leid verhindert werden könnte.»
Gemäss einer Studie der BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) würde mit dem Einsatz von flächendeckendem Tempo 30 innerorts über ein Drittel aller schweren Unfälle verhindert.
Einseitige Berichterstattung
Die Mitteilung der Kantonspolizei Zürich zeigt, wie die Schuld an den Unfällen oft einseitig den Fussgängern zur Last gelegt wird. Dazu schreibt der Verein «Fussverkehr»: In der Berichterstattung über Unfälle würden oft Verhaltensregeln und Tipps vermittelt, die sich einseitig an die Fussgänger richten würden. Damit werde der Eindruck erweckt, dass die Fussgänger selber schuld seien, wenn sie verunfallen.
Die Zahlen zeigen jedoch eine andere Realität: Die Fussgänger werden nur in einem Fünftel aller Unfälle als hauptverursachende Verkehrsteilnehmergruppe bezeichnet.
Täter erziehen, nicht die Opfer
Präventionskampagnen sollen sich deshalb vermehrt an diejenigen richten, die für die Unfälle verantwortlich sind und nicht auf diejenigen, die darunter leiden.
Genau aus diesem Grund steht bei der Verkehrssicherheits-Kampagne «Stoppen für Schulkinder», welche Fussverkehr Schweiz zusammen mit dem VCS durchführt, das Verhalten der Fahrzeuglenkenden im Fokus.