Die Massnahmen des Bundesrats zur Eindämmung des Coronavirus waren für die gesamte Ostschweizer Wirtschaft einschneidend. Die vierte Umfrage der IHK St.Gallen-Appenzell und der IHK Thurgau zeigt: Rund ein Drittel aller befragten Unternehmen beurteilen die Geschäftsentwicklung im ersten Halbjahr insgesamt als schlecht.
Neun von zehn Ostschweizer Unternehmen waren im ersten Semester mit deutlichen Erschwernissen in ihrer Geschäftsentwicklung konfrontiert. Häufigster Grund für diese Erschwernisse waren Bestellungsrückgänge und eine geringere Nachfrage (66.7%), gefolgt von einem zu hohen Personalbestand (34.2%).
MEM-Branche besonders betroffen
Besonders betroffen war die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie).
Die Mehrheit der befragten MEM-Unternehmen erwartet, dass die Erschwernisse auch im zweiten Semester anhalten werden. Die Umsätze dürften dabei nicht mehr so drastisch zurückgehen wie im ersten Halbjahr. Ein allgemeiner Aufholeffekt ist bis Ende Jahr aber ebenfalls nicht zu erwarten, so die Einschätzung von rund zwei Dritteln der befragten MEM-Unternehmen.
Die Entwicklung im Baugewerbe zeigt in eine andere Richtung. Die Bauwirtschaft erlebte im ersten Halbjahr eine gute Geschäftsentwicklung und musste mehrheitlich nur geringe oder keine Umsatzeinbussen verzeichnen. Für das zweite Halbjahr wird jedoch eine Eintrübung erwartet.
Anpassung der internationalen Lieferketten, aber keine erhöhten Lagerbestände
Durch die Grenzschliessungen während des Lockdowns wurden die internationalen Lieferketten teilweise oder ganz unterbrochen. Ein Viertel der befragten Unternehmen war Ende April von unterbrochenen Lieferketten betroffen. Für die stark exportorientierte Ostschweizer Wirtschaft sind offene Grenzen überlebenswichtig.
Im Nachgang zur Wiederöffnung der Grenze befragten die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau die Ostschweizer Unternehmen zu allfälligen Anpassungen ihrer internationalen Lieferketten. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen streben eine Anpassung ihrer Lieferketten an.
Im Fokus steht eine Überprüfung der bestehenden internationalen Lieferketten. Aber auch der Aufbau von zusätzlichen Lieferketten und eine Fokussierung auf europäische und inländische Partner bilden für die Unternehmen ernsthafte Optionen. Ein Ausbau der Lagerkapazitäten für Vorprodukte und Rohmaterialen steht für die Mehrheit nicht zur Diskussion, 7.2 Prozent der Unternehmen bauen Ihre Lagerkapazitäten sogar zurück.
Langanhaltende Unsicherheiten
Die wirtschaftliche Lage scheint sich insgesamt nur langsam zu normalisieren.
Rund 70 Prozent der Ostschweizer Unternehmen rechnen auch im zweiten Halbjahr mit einer niedrigeren Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen. Die Erwartungshaltung der Unternehmen hat sich seit der letzten Umfrage Ende April markant verschlechtert. Rechneten im April rund 43 Prozent damit, dass die Erschwernisse über neun Monate andauern werden, sind es im August 80 Prozent der Unternehmen. Knapp 40 Prozent gehen sogar von einer Dauer von über einem Jahr aus.
Diese Unsicherheit wirkt sich negativ auf das Investitionsverhalten der Unternehmen aus. Über die Hälfte der Unternehmen gibt an, Investitionen im zweiten Halbjahr weiterhin zurückzuhalten.
Ostschweizer Wirtschaft: Phoenix oder Konkurswelle?
Die Ostschweizer Wirtschaft bewegt sich derzeit also in einem schwierigen Umfeld.
Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK-Thurgau wollten von den Ostschweizer Unternehmen wissen, ob sie aufgrund ihrer Kontakte mit Kunden und Lieferanten eine grössere Konkurswelle erwarten. Eine knappe Mehrheit erwartet keine grössere Konkurswelle. Rund 44 Prozent gehen dagegen von einer grösseren Konkurswelle aus.
«Dieses Resultat verdeutlich sinnbildlich die fragile und unsichere Situation bei den Ostschweizer Unternehmen», sagt Alessandro Sgro, Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell. Es gelte, einen zweiten (Teil-)Lockdown zu verhindern.
Zudem sollten die Unternehmen das Momentum nutzen, um die betriebliche Widerstandsfähigkeit zu stärken. «Hier sehen wir mit der Diversifikation von Lieferketten und Investitionen in die Digitalisierung positive Signale», so Sgro.