Die 88-jährige, zierliche Margerita Hofstetter beginnt zu weinen, als ich sie beim Eingangstor zum Bürgerspital in Rapperswil auf die Schliessung ihres Heims anspreche. Sie sagt: «Als ich das hörte, hatte ich einen Schock». Sie könne «fast nicht mehr schlafen». Wie die meisten ihrer Mitbewohner.
Im Alter verjagt
Frau Hofstetter wohnt seit 60 Jahren in Rapperswil-Jona. Über alle Jahre habe ihre Familie der Stadt Steuern gezahlt, sagt sie mit leiser Stimme. Und jetzt werde sie verjagt, müsse in wenigen Monaten irgendwohin ziehen.
Wohin sie gehe, wenn die jahrhundertealte Institution geschlossen werde, frage ich. Frau Hofstetter blickt, wieder mit wässrigen Augen, ins Leere, bis sie sagt: «Ich bleibe einfach».
«Bitte helfe uns!»
Etwas später ruft mich Josy Helbling an. Sie wohne im Bürgerspital und habe von meinem Gespräch mit Frau Hofstetter gehört. «Bitte, Bruno, hilf uns», sagt sie. Die Schliessung des Altersheims in derart kurzer Zeit (die Info dazu erhielten die Heimbewohner vor 14 Tagen) sei eine Katastrophe. Sie sei im Rollstuhl, finde keinen Heimersatz, schon gar kein Einzelzimmer. Alle seien durcheinander.
Weinerliche Begründung
Die Fakten verstören: Hinter der Heim-Schliessung steckt Missmanagement, Gefühlslosigkeit und schlimmstenfalls Geschäftsinteresse.
Geplant war, das Heim bis 2026 offenzuhalten, bis das neue Pflegezentrum Schachen in Jona steht. Doch die für das Bürgerspital verantwortliche, reiche Ortsgemeinde, die grad das Schloss Rapperswil für 16 Mio. Franken umbaut und viele Liegenschaften, Ländereien und Wälder besitzt, streckt die Füsse. Präsident Matthias Mächler und Geschäftsführer Christoph Sigrist begründen ihr Scheitern weinerlich und «schweren Herzens» mit «Personalmangel» und «ausgetrocknetem Arbeitsmarkt».
Alle falten die Hände
Die beiden hoch bezahlten Manager sagen, noch letzten Mai hätten sie geglaubt, das Heim bis 2026 zu betreiben. Doch der «Personalmangel» habe zugenommen. Man habe deshalb die belegten Betten von 41 auf 24 reduziert. Nun schaffe man es nur noch bis Mai 2024.
Auch der Stadtrat faltet die Hände. Obwohl die Ortsgemeinde zum Betrieb des Bürgerspitals vertraglich bis mindestens Ende 2024 verpflichtet gewesen wäre, akzeptierte die Stadt deren Kündigung auf Ende Mai. Stadtrat Luca Eberle sagte der Linth-Zeitung, der Stadtrat bedauere die Schliessung «ausserordentlich». Er könne aber die Gründe dazu nachvollziehen. That’s it!
Fahrlässige Ortsgemeinde
Eberle sagte noch, die Stadt sei von der Ortsgemeinde erst Ende August über die mögliche und Ende September über die definitive Schliessung informiert worden.
Genauso fahrlässig und unverantwortlich (oder gar berechnend?) spät haben die Ortsgemeinde-Oberen auch die städtische Altersorganisation RaJoVita informiert. Sie beschäftigt bei einem Jahresumsatz von fast 25 Mio. 300 Mitarbeitende und betreibt viele Altersinstitutionen der Stadt, wäre also für solche Notfälle prädestiniert.
Lausige Information an RaJoVita
RaJoVita-Chef Markus Bühler sagt gegenüber Linth24, seine Organisation habe das Führen des Bürgerspitals geprüft, habe sich aber aufgrund der kurzen Zeit, die zur Verfügung gestanden habe, dagegen entscheiden müssen. Weil die Personalsituation im Bürgerspital unklar sei und er auch nicht zu viel Personal habe. Und: Die Ortsgemeinde habe ihm keinen Einblick in den Heimbetrieb ermöglicht. Hätte er mehr Zeit gehabt und mehr gewusst, wäre eine Übernahme wohl möglich geworden.
Bessere Rendite ohne Betagte?
Ortsgemeinde-Geschäftsführer Sigrist tat der Linth-Zeitung am 3. November noch kund, das ab nächsten Mai geschlossene (attraktiv am Rapperswiler Hafen gelegene) Bürgerspital lasse man aber dann nicht leer stehen. Es gebe zwei Interessenten für das Erdgeschoss und einen für die obliegenden Zimmer. Als er das sagte, war öffentlich erst 8 Tage bekannt, dass das Heim geschlossen wird.
Man fragt sich, weshalb überrumpelte die Ortsgemeinde alle derart mit ihrer herzlosen Heimschliessung, und wie kam es, dass sie zugleich so schnell so viele Interessenten für ihr Haus hat? Werden die betagten Menschen auf die Strasse gestellt, weil die Vermietung des Hauses mehr Geld einbringt als die Altenpflege?
Wer sich zu diesem Trauerspiel äussern möchte, schreibe mir an bruno.hug@linth24.ch