Die Schlagzeilen sind fett und ungeheuerlich. Über 1000 Missbrauchsfälle in den letzten Jahrzehnten. Die Dunkelziffer wird noch höher sein. Über die Bistümer der Schweiz fegt ein Tsunami der Empörung und Fassungslosigkeit. Der St. Galler Bischof Markus Büchel nahm den schon lange geplanten Pastoralbesuch in Rapperswil-Jona als Gelegenheit wahr, sich den Fragen zu stellen.
Wenig Reue in der Liturgie
Entlarvend war der kontroverse Auftritt zwischen der Eucharistiefeier in der Marienkirche Jona und der Frage- und Antwortstunde im Kirchgemeindehaus. Die Messe ging mit der üblichen, die katholische Liturgie auszeichnenden Folklore vonstatten, in welcher wiederholt die Ehre der Kirche auf salbungsvolle Weise zelebriert wurde. Inbrünstig wurde Vergebung der durch die Studie aufgedeckten schrecklichen Ereignisse der letzten 70 Jahre mit Kerzen und Kyrie Eleison – Herr, erbarme Dich – beschworen. Die Chance für klare Worte zu Schuld und Sühne wurde nicht genutzt.
War der besondere Blick auf die «Schmerzen Marias in Verbundenheit mit allen Menschen der Übergriffe» und dem Hinweis, dass «sie treu geblieben ist», eine Aufforderung an kritische Kirchenbesucher, weiterhin der Kirche die Stange zu halten? Die zunehmende Zahl von Kirchenaustritten spricht eine deutliche Sprache. 2022 gab es so viele Austritte wie noch nie. 34'182 katholische und 28'536 evangelische Personen kehrten ihrer Kirche den Rücken. Die wenigsten aus steuerlichen Gründen.
Wenig Fokus auf Opfer
Im Kirchgemeindehaus stellte sich Bischof Markus Büchel den ca. 60 Anwesenden. War es das bereits sehr fortgeschrittene Alter der Mehrheit der Fragenden, die noch in einer Zeit aufwuchsen, in welcher die Infragestellung katholischer Indoktrination und Hierarchie bereits als Sünde galt, dass die harten, schmerzhaften Fragen ausblieben? Erst gegen Ende kam Bewegung in die Sache. Die Rolle der Frauen in der Kirche, Zölibat, Sexualmoral, Auswahl der Priester und weitere Themen brachten etwas Versöhnung und Verständnis in den ganzen Prozess. Bischof Markus Büchel war die Betroffenheit über die Missbräuche und der Wille, Hand zu deren Klärung; inklusive der strafrechtlichen Konsequenzen; anzumerken. Trotz aller Offenheit bleiben Zweifel. Ob die Kirche diese restlos beseitigen kann, wird die Zukunft zeigen.