In einem Jahr wird Claire Kühni-Tschirky pensioniert. Sie machte sich schon früh Gedanken, wie die Zeit danach sinnvoll gestaltet werden kann. «Als ich von einer Arbeitskollegin hörte, dass es eine Ausbildung zur Märchenerzählerin gibt, wurde ich sofort hellhörig», erinnert sich die Logopädin noch bestens.
«Sofort begann ich zu recherchieren, konsultierte das Internet, und was ich da sah, interessierte mich brennend.» Gemacht, getan: Sie meldete sich handkehrum zu einem Einführungsseminar an, «nachdem ich dieses absolviert hatte, war für mich klar, das will ich auch lernen».
Diese Ausbildung zur Märchenerzählerin gibt es schon seit langem. Claire Kühni-Tschirky absolviert dieses bei der Mutabor, Schule für Märchen- und Erzählkultur. Am Ende der Ausbildung erhält man das Zertifikat «Märchenerzähler/in».
Claire Kühni-Tschirky hatten Sie eigentlich schon immer ein Faible fürs Märchenerzählen?
(lacht) Als kleines Mädchen habe ich schon Märchen geliebt, wie wohl alle Kinder. Als Erwachsener verlieren viele den Bezug dazu, doch in meinem Erstberuf als Kindergärtnerin und auch jetzt als Logopädin an einer Schule, nutzt ich Märchen, Fabeln und Sagen immer wieder im Unterricht.
Wie genau sieht die Ausbildung zur Märchenerzählerin aus?
Die Ausbildung dauert zwei Jahre. Alle drei Monate gibt es jeweils einen Seminarblock à zwei Tage im Emmental in einem Seminarhaus. Dort wird dann an verschiedenen Themen gearbeitet: An der Stimme, an der Dramaturgie - aber vor allem auch an der profunden Recherche.
Wo liegt Ihrer Sicht nach die «Kunst» des Märchenerzählens? Man könnte ja einfach ein Märchenbuch nehmen und daraus vorlesen.
Märchen lernt man nicht auswendig, sondern man erarbeitete innere Bilder, die man dann abruft und vorträgt. Es hat, wie gesagt, alles sehr viel mit Recherche zu tun: Über den Hintergrund und die Herkunft des Märchens, über die damalige Zeit, die lokalen Gegebenheiten, was hat die Menschen damals wirtschaftlich, historisch und gesellschaftlich bewegt. Das alles fliesst dann ins Erzählen hinein und macht die Qualität des Märchenerzählens aus.
Wo werden weitere Schwerpunkte in der Ausbildung gelegt?
Es ist auch wichtig, wie die Stimme, der Erzählfluss, der Atem und die Gestik eingesetzt werden. Oder: wie stehe ich auf der Bühne, wie präsentiere ich mich und wie setzte ich Utensilien ein. Das ist vor einer Schulklasse anders als vor einem erwachsenen Publikum. Dies alles wird in der Ausbildung geübt und gelernt.
Apropos Vorbereitung: Wie bereiten Sie sich auf einen Auftritt vor?
Je nach Märchen und Land, aus dem es überliefert wurde, benötige ich 1-2 Monate, um das Märchen vorzubereiten, bis ich es verinnerlicht habe. Das Vorbereiten finde ich spannend und bereitet mir, wie das Erzählen auch, grosse Freude. Also ein grosser Aufwand für ein Märchen, das notabene nur wenige Minuten dauert.
Märchen sprechen aber nicht nur Kinder an...
Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe mit kleinen Kindern Erfahrung, als ehemalige Kindergärtnerin, und habe schon mehrmals an Schulen vorgetragen - aber auch bei Erwachsenen, zum Bespiel bei Lesungen, in Alterssiedlungen, an Weihnachtsmärkten. Die Resonanz war stets positiv.
Wie werden Sie nach Abschluss der Ausbildung Ihre neue Tätigkeit als Märchenerzählerin ausüben?
Ein Wunsch wäre, in einem Malatelier zu arbeiten und dort gemeinsam mit Kindern und Müttern zu malen, kombiniert mit Märchengeschichten. Gerne würde ich auch weiterhin in Bibliotheken oder anderen Einrichtungen erzählen. Zudem verfolge ich noch ein anderes, mir wichtiges Ziel: Meine älteste Tochter führt mit ihrem Mann in Peru ein Hilfswerk, und das möchte ich später mit meiner Tätigkeit als Märchenerzählerin finanziell mitunterstützen können.