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01.09.2021

Schweizer Volksentscheide: Tradition mit Vor- & Nachteilen

In einer Demokratie soll das Volk entscheiden, doch Volksabstimmungen werden immer wieder heftig kritisiert.
In einer Demokratie soll das Volk entscheiden, doch Volksabstimmungen werden immer wieder heftig kritisiert. Bild: Linth24
Die Schweizer sind für ihre Volksentscheide bekannt: Bis heute werden wichtige Entscheidungen vom Volk getroffen. Doch das bringt Vor und auch Nachteile mit sich.

Mit dem Volksentscheid gibt es in der Schweiz keine parlamentarische, sondern eine direkte Demokratie. Die Bürger nehmen damit nicht nur Einfluss auf die Wahlen, sondern auch direkt auf die Politik. In jedem Jahr wird über verschiedenste Sachverhalte abgestimmt, die die Zukunft des Landes oder auch kleinere Angelegenheiten innerhalb eines Kantons bestimmen. Die direkte Demokratie hat in der Schweiz Tradition, doch diese Art, Politik zu machen, wird auch scharf kritisiert. Wir erklären, wie Abstimmungen in der Schweiz funktionieren und welche Vor- und Nachteile die Volksentscheide mit sich bringen.

Mehrmals im Jahr finden Volksabstimmungen statt

Sowohl über landesweite Gesetze als auch Gemeinde-Angelegenheiten wird in der Schweiz mehrmals pro Jahr abgestimmt. Dann gibt es ein Abstimmungswochenende, an dem direkt mehrere Fragen abgearbeitet werden. Nachdem die Stimmen abgegeben wurden, gibt es Stimmzähler, die schnell ein Ergebnis offenbaren. Damit haben die Parteien in der Schweiz einen geringeren Einfluss als zum Beispiel in Deutschland. Gefällt den Bürgern ein Gesetz nicht, können Unterschriften gesammelt werden, um so eine Volksabstimmung in die Wege zu leiten. Abgestimmt werden kann so auch über Probleme, die die Politik aus Sicht der Bürger zu lange vernachlässigt hat.

Bekannte Beispiele für die Volksabstimmung in der Schweiz

Im Jahr 1981 schafften es Frauen, für mehr Gleichberechtigung zu stimmen: Rund 60% der Stimmen sprachen sich für ein „Ja“ aus, als es darum ging, Männern und Frauen den gleichen Lohn zahlen zu müssen. So haben Frauen seitdem die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen, wenn sie ungerecht behandelt werden.

Dieses Beispiel ist ein positives und zeigt, was Volksabstimmungen bewirken können. Ein kontroverses Beispiel ist dagegen das Burkaverbot, gegen das man sich am 7. März in der Schweiz aussprach. Auch hier entschied das Volk mit knapper Mehrheit über ein künftiges Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Kampagnen, die sich gegen ein Verhüllungsverbot aussprachen, bezeichneten die Abstimmung als völlig islamfeindlich und völlig absurd. Tatsächlich gibt es kaum Nikab- und Burkaträgerinnen in der Schweiz. Trotzdem wurde per Volksabstimmung eine Entscheidung getroffen, die nun Gültigkeit hat.

Ebenfalls in diesem Jahr abgestimmt wurde dann zum Beispiel zu Umweltschutzthemen: Drei Initiativen, die sich dem Umweltschutz widmen, wurden im Juni abgelehnt. Unter anderem richteten sich die Forderungen an Bauern, die künstliche Schadstoffe zur Schädlingsbekämpfung einsetzen sowie an jene, die vermehrt Antibiotika einsetzen. Bereits die Regierung hatte wenig Bereitschaft gezeigt und sprach von zu großen Einschränkungen. Das Volk teilte diese Meinung wohl. Auch das CO2-Gesetz, das für niedrigere Emissionen sorgen sollte, lehnte das Volk ab. Solange das Volk entscheidet, scheint es hier also keine Möglichkeit zu geben, den Umweltschutz zu verbessern. Gegner der Umweltinitiativen werden dagegen froh darüber sein, auch weiterhin über wichtige Entscheidungen selbst abstimmen zu können.

Ein anderes Beispiel, das zeigt, welch vielseitige Entscheidungen vom Volk getroffen werden, findet sich im Jahr 2018: Damals entschieden fast 73% der Stimmen, dass Schweizer Casinos Online-Glücksspiele anbieten dürfen. Verwunderlich ist das nicht, denn immerhin konnte so entschieden werden, dass die Steuereinnahmen durch Online-Glücksspiele in der heimischen Staatskasse landen, also ins eigene Land fließen. Ähnliche Entwicklungen sind aktuell auch in Deutschland zu beobachten, in der Schweiz war man aber wesentlich schneller. Auch in Deutschland gibt es nun staatlich regulierte Online-Casinos, diese stoßen momentan aber auf weniger Gegenliebe, als es in der Schweiz zu beobachten war. Man stört sich zum Beispiel an Einsatzlimits und den vielen Spielen, die nicht mehr zugelassen sind. Deshalb greifen deutsche Spieler vermehrt auf EU-Casinos zurück, die keine Einschränkungen wie etwa 1€ Maximaleinsatz haben. In der Schweiz dagegen werden Anbieter, die aus dem Ausland stammen, konsequent per IP-Blocking für Spieler gesperrt.

Vor- und Nachteile: Wie sinnvoll sind Volksentscheide?

In einer Demokratie soll das Volk entscheiden, doch Volksabstimmungen werden immer wieder heftig kritisiert. Zu beobachten war das beispielsweise bei der Brexit-Entscheidung in Großbritannien, die Diskussionen sind hier bis heute kontrovers. Sogar für eine erneute Abstimmung sprachen sich viele Briten aus und gingen dafür auf die Straße – um dann einen Ausgang zu erzielen, der doch ein bisschen besser gefällt.

Grundsätzlich gilt: Sowohl repräsentative Systeme als auch Volksentscheide haben Vor- und Nachteile. Wählt man eine Partei, dann entscheidet man sich für ein Gesamtpaket. Nicht selten heißt das auch, Meinungen und Forderungen zu akzeptieren, mit denen man selbst nicht übereinstimmt. Manche Dinge sind für Parteien wichtiger als andere – und Bürger müssen immer damit rechnen, dass nicht alle individuellen Wünsche abgedeckt sein werden. Auf der anderen Seite kritisieren gerade politisch linksstehende Menschen, dass Volksentscheide nicht zweckdienlich seien. Gerade benachteiligte Menschen nehmen dann kaum Einfluss auf die Politik. Auch, was Umweltthemen betrifft, hat die Schweiz gezeigt, dass wenig getan wird, wenn das Volk entscheidet. Deshalb bezeichnet man Volksentscheide auch als unsozial. In der Tat nehmen an den Abstimmungen in der Schweiz oft weniger als 50% der wahlberechtigen Personen teil.

Ebenfalls kritisiert wird, dass bei Volksentscheiden nur mit einem Ja oder Nein abgestimmt werden kann. Dabei sind politische Themen doch komplex und fordern mitunter einen Mittelweg, der dem Großteil der Bevölkerung zugutekommt. Es geht oft darum, Kompromisse einzugehen und geschickt zu verhandeln. Denn in einer Demokratie wird es immer unterschiedlichste Meinungen geben, die im Sinne der freien Meinungsäußerung zu berücksichtigen sind. In Deutschland zum Beispiel hat man sich deshalb in Anbetracht der Vergangenheit dagegen entschieden, Volksentscheide zuzulassen. In der Schweiz hält man dagegen weiterhin daran fest. Das hat zur Folge, dass politische Entscheidungen grundsätzlich eher akzeptiert werden. Ebenso können sich Bürger besser mit der eigenen Politik identifizieren und sind über aktuelle Sachlagen besser informiert. Doch auch die Nachteile, die mitunter damit einhergehen, dass bestimmte Menschengruppen kaum bis keinen Einfluss nehmen können und Themen stark emotionalisiert werden, sind nicht von der Hand zu weisen.

Linth24