- Von Thomas Renggli, Weltwoche
Fester Händedruck, sauber gestutzter Bart, strahlend weisse Zähne, herzliches Lachen: «Ich bin Rocco. Setzen wir uns in den Schatten, dort können wir ungestört sprechen.» Am Fischmarktplatz 2 in Rapperswil-Jona werden die Gedecke aufgetragen. Das Personal des Restaurants «Dieci al Lago» bereitet sich auf den Mittagsandrang vor; alle ganz in Schwarz gekleidet, «wie Giorgio Armani, mein grosses Modevorbild», sagt Rocco Delli Colli. Am Quai schaukeln die Schiffe, die Sonne scheint. Und der Chef ist bester Laune. Der Patron des grössten Pizzakuriers des Landes blickt auf wunderbare Sommertage zurück. Zuerst konnte er den EM-Titel der Squadra azzurra bejubeln. Dann startete die zweithöchste Schweizer Fussballliga erstmals unter «seinem» Label in die Saison: die «Dieci Challenge League».
Fussball spielt wichtige Rolle
Was bedeutet ihm mehr? Delli Colli, der seit 2005 auch erfolgreicher Präsident des FC Rapperswil-Jona ist, lacht: «Das sind zwei komplett verschiedene Paar Schuhe. Bei den italienischen Fussballern ist es immer das Gleiche: Sie müssen zuerst tief fallen, um dann triumphal zurückzukehren. An der Euro kämpften sie wie 24 Gladiatoren für ihr ganzes Land. Sie gewannen nicht nur für sich, sondern für alle sechzig Millionen Italiener.» Er liebe die Schweizer Perfektion. Und gleichzeitig liebe er das italienische Chaos.
Delli Collis Augen funkeln, wenn er das erzählt – und dabei gerät sein persönlicher Deal im Schweizer Fussball schon fast wieder in den Hintergrund: «Das Sponsoring der Challenge League war ein Firmenentscheid. Städte wie Winterthur, Schaffhausen und Thun sind wichtige Standorte für uns.»
Mit 18 Jahren in die Schweiz
Und so sind wir wieder beim Fussball. Denn dieser spielte eine wichtige Rolle, als Delli Colli mit achtzehn Jahren aus dem Städtchen Arpino in der italienischen Region Latium in die Schweiz kam. Er folgte seinem Vater, der als Saisonnier im Baugewerbe arbeitete, und erhielt mit der C-Bewilligung die Chance, sich im neuen Land zu etablieren. Sozialisiert wurde er im FC Wald, in einer Mannschaft mit Spielern aus zwölf Nationen: «Ich sprach kein Wort Deutsch – und trotzdem verstand ich die anderen sofort.» Und welches war sein erster Eindruck von der Schweiz? «Ich fühlte mich wie im Paradies, obwohl ich vom Land damals noch keine grosse Ahnung hatte.» Als er vom Wohnort seiner Eltern, Hombrechtikon, zu Fuss nach Rapperswil ging, musste er ein Tobel durchqueren: «Ich dachte, hier wird die Toblerone produziert.»
Die Missverständnisse klärten sich schnell, und Delli Colli trat seine erste Stelle als Elektromonteur an. Bald zog es ihn aber in die Selbständigkeit. 1981 eröffnete er in Rapperswil eine Videothek mit dem Namen Portobello: «Es war die erste der Stadt.» Acht Jahre lang vermietete er – zumeist italienischsprachige – Filme. «Am Schluss hatte ich 2000 Kassetten. Das Geschäft lief gut.»
Echtes Lebensgefühl fehlte
In dieser Zeit realisierte er aber auch, wie sehr ihm das echte Lebensgefühl aus der Heimat fehlte: «Wer in der Schweiz ein italienisches Restaurant eröffnete, hängte ein Fischernetz aus Plastik an die Decke, strich die Wände grün-weiss-rot und bot Spaghetti bolognese an.» Mit dem echten Italien habe dies aber nicht viel zu tun: «Zu Hause hängt niemand ein Fischernetz an die Decke, und Spaghetti bolognese kennt keiner.» So habe er mit seinem Alfasud oft weite Strecken zurückgelegt, um das authentische italienische Lebensgefühl zu erfahren: «Für einen echten Kaffee fuhr ich schon mal nach Mailand und für Spaghetti alle vongole nach Alassio.»
Dann entschied sich Delli Colli, die Riviera nach Rapperswil zu holen. An der Kluggasse, im Herzen der Altstadt, fand er dank «Beziehungen und Glück» ein kleines Lokal. Am 3. November 1990 eröffnete er die «Dieci Bar und Pizza» mit zwölf Sitzplätzen und einer Belegschaft von fünf Personen. Das Angebot war weder neu noch revolutionär, doch «es schlug ein wie eine Bombe. Die Leute rissen uns die Pizze förmlich aus der Hand.»
120'000 Franken Startgeld
Vom eigenen Erfolg überrumpelt, suchte Delli Colli unternehmerische Unterstützung. Er fand sie in der Person des Rapperswiler Verlegers Bruno Hug, damals auch der starke Mann beim SC Rapperswil-Jona. Hug war es, der Delli Colli dazu riet, aus seinem einzelnen Rapperswiler Kurier ein Pizzakurierunternehmen im Franchise-System aufzubauen. Hug erinnert sich: «Rocco war von der Idee begeistert, sagte mir aber zugleich, dass er das allein nicht tun wolle.» Und so kaufte sich Hug für 120 000 Franken bei Dieci ein. Es war derselbe Betrag, den Delli Colli für seinen ersten Kurierdienst aufgeworfen hatte. Daraus sollte sich eine symbiotische, sich ergänzende Partnerschaft entwickeln, in der das Geschäftsmodell sukzessive perfektioniert wurde – und bei dem sich am wichtigsten Grundsatz nichts änderte: an der hohen Qualität. Hug sagt dazu: «Rocco ist ein Perfektionist. Für alle Zutaten, seien es Tomaten, Schinken, Pilze oder Mozzarella, sucht er zusammen mit unserem Geschäftsführer Patrick Bircher immer die allerbesten Lieferanten.»
Vier Millionen Pizze pro Jahr
Die Geschichte von Delli Colli und seinem Dieci liest sich wie eine Tellerwäscherkarriere, die Hollywood nicht schöner schreiben könnte. Heute ist das Unternehmen mit 38 Filialen, 1200 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 100 Millionen Franken der grösste Pizzakurier der Schweiz. Zur Gruppe gehören zudem fünf Gelaterie, vier Restaurants, eine Catering-Firma, eine Gelato-Produktion sowie ein Warenhandel. Pro Jahr werden rund vier Millionen Pizze produziert.
Doch nicht diese Zahlen seien sein grösster Erfolg, sagt der zweifache Familienvater Delli Colli, der seit dreissig Jahren mit der Rapperswilerin Bettina verheiratet ist: «Mein grosses Ziel war es, dass mein Vater seine Anstellung als Saisonnier beenden und wieder zu meiner Mutter zurückkehren konnte. So schenkte ich ihnen dreissig gemeinsame Jahre.» Überhaupt sei sein Vater sein wichtigstes Vorbild: «Er hat sein Leben lang gedient. Er machte nie viel Aufheben von seiner Person. Aber er war immer da, wenn man ihn brauchte.»
Einer, der Delli Colli seit Jahren kennt, ist der Kunstmaler Rolf Knie. Er bezeichnet Rocco als «Hansdampf in allen Gassen, der die Menschen mit seinem Charme und seiner Ausstrahlung begeistert»: «Eine Zeitlang verkaufte er auch Sweatshirts von mir. Sein grosser Durchbruch war aber das Pizzageschäft.» Er habe nichts Neues erfunden, aber er habe es besser gemacht als die anderen – viel besser. Und er besitze ein ausgesprochenes Gespür für Trends. Ein guter Bekannter von Rocco Delli Colli ist Erfolgsunternehmer Hans-Ueli Rihs, Verwaltungsrat der Rapperswil-Jona Lakers. Rihs sagt: «Rocco ist ein Mann des Volkes: voller Begeisterungsfähigkeit und Ideen.» Was Rocco mit seinem Kurier und dem grössten Restaurant am Seequai von Rapperswil erreicht habe, sei aber nur eine Seite seiner grossen Leistungen: «Ebenso wichtig ist sein riesiges Engagement für den Sport und die Jugend rund um den städtischen Fussballklub.»
Teufelszeug Handy
Und tatsächlich hat Delli Colli auch mit seinen Fussballern schon viel erreicht. Er führte den Klub zwischenzeitlich sogar in die Challenge League – und machte ihn zu einem der wichtigsten und grössten Ausbildungsvereine der Schweiz. Dazu sagt er: «Für unsere 700 Juniorinnen und Junioren ist der Fussball auch eine wichtige Lebensschule. Dann klingelt auf der «Dieci»-Terrasse am Fischmarktplatz das Handy. Und das ganz auf Italienisch: eine Melodie von «Teufelsgeiger» Paganini. Delli Colli lacht, als er das Motiv hört: «Das Handy ist ein Teufelszeug. Es lässt einen nie in Ruhe.» Und gleichzeitig weiss er genau: Ohne Telefon hätte er es garantiert nicht zum grössten Pizzakurier des Landes gebracht.