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Sport
09.08.2021
13.08.2021 08:34 Uhr

Olympia-Tagebuch: Hitze-Akklimatisation

Tagebucheintrag Nr. 2: Die Akklimatisation an das Klima in Tokio.
Tagebucheintrag Nr. 2: Die Akklimatisation an das Klima in Tokio. Bild: Sandra Stöckli
In ihrem Tagebuch auf Linth24 berichtet die Rapperswiler Athletin Sandra Stöckli regelmässig von ihren Erlebnissen und Erfahrungen rund um die Paralympics 2020 in Tokio.
  • Tagebuch von Sandra Stöckli

«An den Paralympischen Spielen in Tokio finden wir – wie schon die Sportler an den Olympischen Spielen – sehr ein sehr anspruchsvolles Klima vor. Für mich werden es klimatische Bedingungen sein, welche ich so noch nie an einem Wettkampf hatte und das fordert akribische Vorbereitung, vor allem auf die hohe Luftfeuchtigkeit.

Hitzekammer extra fürs japanische Klima

Damit ich mich auf die klimatischen Verhältnisse in Tokyo vorbereiten konnte, bin ich die letzten neun Tage in Grenchen in der Hitzekammer von SwissCycling gewesen. Diese Hitzekammer wurde extra für die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokyo erbaut, da man ja schon länger darüber Bescheid wusste, welche Verhältnisse man in Japan antreffen wird.

  • Die Hitzekammer steht beim Sitz von SwissCycling in Grenchen in Solothurn. Bild: Sandra Stöckli
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  • Beim Hitze – Feuchtigkeitsindex liegt Tokyo im orange-roten Bereich. Bild: Sandra Stöckli
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  • Zusammen mit anderen Para-Athletinnen und Athleten bereitete sich Sandra Stöckli auf das Klima in Tokio vor. Bild: Sandra Stöckli
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Alles auf die Waage

Die letzten Tage sind bei mir so abgelaufen:

Eine Stunde bevor man in die Hitzekammer geht, muss diese aufgewärmt werden. Hierfür ist immer eine Person vom Bundesamt für Sport vor Ort, welche auch das Klima und die Luftfeuchtigkeit in der Kammer die ganze Zeit unter Kontrolle hat. Bevor ich mein Zimmer verliess, musste ich mich immer noch auf die Waage setzten (Da es als Rollstuhlfahrerin schwierig ist, auf eine normale Waage zu stehen, habe ich meine eigene mitgenommen) und auch nach der Hitzekammer musste ich mich wieder wägen – an manchen Tagen sass ich bis zu viermal auf der Waage. Grund dafür ist, dass wir so überprüfen können, wie viel wir geschwitzt haben.

Körpertemperatur an der Grenze

Bei der Hitzekammer angekommen musste ich vor dem Training zuerst auch noch alle meine Getränke wägen. An unserem Herzfrequenzmesser ist auch ein Temperaturmesser angebracht, um die Körpertemperatur zu erfassen. Wäre die Temperatur im Training zu hoch – sprich über 40 Grad – gewesen, hätte es einen Alarm ausgelöst und man hätte sofort das Training abbrechen müssen, was glücklicherweise nie passiert ist. Einmal war meine Temperatur sehr knapp an der Grenze, doch abbrechen musste ich nie, was sehr positiv ist.

30 Grad, 85 Prozent Luftfeuchtigkeit

Um neun Uhr ging es jeweils los in der Hitzekammer, wo es echt extrem heiss war. Wir hatten jeweils gut 30 Grad mit 80 bis 85 Prozent Luftfeuchtigkeit vorgefunden – d.h. man war gerade mal 30 Sekunden drin und schon schweissnass, ohne überhaupt mit dem Training begonnen zu haben. Wir haben unsere Handbikes auf Velorollen (welche ich mit dem Computer verbinden kann) eingespannt, um stillstehend am Ort zu trainieren. 

  • Mit ihren mit dem Computer verbundenen Rollen kann Sandra Stöckli eine Fahrt im japanischen Gelände simulieren. Bild: Sandra Stöckli
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  • Bild: Sandra Stöckli
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Flaschen fassen muss geübt sein

Unser Trainingsplan wurde zusammengestellt aus ärztlichen Tests, welche ich im Februar 2021 oder in vergangenen Jahren absolviert habe. Am Morgen trainierte man in der Hitzekammer, am Nachmittag dann meistens auf der Strasse. Dort trainierten wir auch technische Dinge, wie zum Beispiel Flaschen fassen oder sich mit dem Wasser abzuspritzen, da wir bisher noch nie Rennen in einer solchen Klimazone hatten und das dementsprechend noch nie geübt haben. Es ist nicht zu unterschätzen wenn man mit 30 km/h fährt und dann eine Flasche fangen muss – ich weiss also schon, wieso ich Velofahrerin bin und nicht in einer Wurf-Fang Disziplin unterwegs bin;–)

Entwicklung über neun Tage

In der Hitzekammer trainierte ich zwischen 60 und 90 Minuten, einerseits im Grundlagenbereich, aber auch im Intensivbereich über eine längere Zeit, um mich daran zu gewöhnen und zu sehen, wie mein Körper darauf reagiert. Nach dem Training wurden wieder alle Daten sehr genau dokumentiert (mein Empfinden, meine Getränke wurden gewogen, ich wurde auch gewogen etc.) Aufgrund dieser Daten konnte man dann die Entwicklung über die neun Tage verfolgen.

  • Bild: Sandra Stöckli
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  • Bild: Sandra Stöckli
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Fast 2 Liter Wasser verloren

Man verlor aufgrund vom Schwitzen wirklich viel Wasser. Bei 90 Minuten Training im Grundbereich (was bei normalen Verhältnissen nicht allzu streng ist) trank ich 1.5 Liter Wasser und verlor fast 2 Liter durchs Schwitzen. Ich musste immer gut aufpassen, dass ich das kompensieren konnte. Hierbei wurde ich bestens beraten von unserer Ernährungsfachfrau, von welcher ich auch einen sogenannten Marschplan bekam. Darauf stand, wann ich was zu trinken und zu essen habe – auch wegen dem Salzhaushalt – um ein Defizit zu verhindern

Alles in Slow-Motion

Es war wirklich streng, in dieser Hitze und bei dieser Luftfeuchtigkeit zu trainieren und man hat auch erkennen können, dass meine Herzfrequenz 10 bis 15 Schläge höher war als bei «normalem» Klima bei gleicher Belastung. Wenn ich jeweils schweissnass aus der Hitzekammer kam nach 90 Minuten Training war alles in Slow-Motion, ich war dermassen langsam unterwegs. Es war wirklich extrem und schwer in Worte zu fassen, wie k.o. ich von diesen Strapazen war. Da war ich wirklich froh, dass wir jeweils zur Massage konnten und miteinander im Team tiefgründige Gespräche führen konnten, so konnte ich mich relativ gut erholen.

Ich bin sehr froh, dass ich dieses Training machen konnte und ich bin überzeugt, dass mir diese Akklimatisation in Tokio helfen wird. Vielleicht werde ich in Japan ja überrascht sein, weil es da dann eventuell weniger schlimm als in der Hitzekammer sein wird – das wäre natürlich super.

Tolle Stimmung im Cycling Team

Das ganze Training tönt jetzt vielleicht ein wenig monoton, aber wir im Cycling Team hatten eine wahnsinnig gute Stimmung. Wir hatten auch eine Playlist mit motivierenden Songs erstellt und hatten ab und zu in der Hitzekammer eine riesige Party – das gehört natürlich auch dazu, aber ansonsten waren wir natürlich sehr fokussiert und konzentriert und haben hart gearbeitet. Wir alle haben das gleiche Ziel vor Augen: Die Rennen an den Paralympischen Spielen.»

Im nächsten Tagebuch erfahren Sie, wie ein typischer «Ruhetag à la Stöckli» aussieht.

Linda Barberi, Linth24