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Kanton
25.08.2024
25.08.2024 08:00 Uhr

Die aktiven Nazis in St.Gallen

Tag zur «Feier der Arbeit», 27. April 1940, im «Schützengarten»
Tag zur «Feier der Arbeit», 27. April 1940, im «Schützengarten» Bild: stgallen24/Archiv/zVg
Am 24. Oktober kommt der «Landesverräter» ins Kino. Alt Stadtarchivar Ernst Ziegler nimmt die tragische Geschichte des Gaiserwalders Ernst S. zum Anlass, um die Geschichte des Nationalsozialismus in St.Gallen zu rekapitulieren. Im ersten Teil stellt er u.a. das «Deutsche Heim» an der Haldenstrasse vor.

Mit der Parole der nationalen Erneuerung traten um 1933 auch in St.Gallen zahlreiche «Fronten» (Nationale Front) und «Bünde» auf den Plan, die teilweise mit dem Nationalsozialismus irgendwie verwandt waren.

Bild: stgallen24/Archiv/zVg

Gefährlicher als diese «Fronten» waren die nationalsozialistischen Organisationen in St.Gallen, in denen die hier lebenden Deutschen zusammengefasst wurden. Sie entfalteten nämlich eine rege Vereins- und Propagandatätigkeit.

Bis zur Machtergreifung des Nationalsozialismus 1933 in Deutschland bestanden in St.Gallen verschiedene unpolitische Landsmannschaften. Am 23. April 1933 wurde in Anwesenheit von Wilhelm Gustloff in St.Gallen der Grundstein für die späteren nationalsozialistischen Organisationen gelegt. (Gustloff war der Landesleiter der NSDAP in der Schweiz der hier lebenden deutschen Nationalsozialisten; er wurde 1936 in Davos erschossen.) Über Aufbau, Gliederung, Umfang und Tätigkeit dieser Organisationen in der Stadt St.Gallen sind wir seit 1945 gut unterrichtet.

Ohne auf den Erwerb der Mitgliedschaft zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) oder auf Organisation und Aufbau der Ortsgruppe St.Gallen der NSDAP näher einzugehen, sei bloss auf Folgendes hingewiesen: Beispielsweise waren die Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront verpflichtet, an sogenannten Pflichtabenden, die monatlich mindestens einmal durchgeführt wurden, zu erscheinen. Unter der Leitung des Kraft-durch-Freude-Wartes hielt die deutsche Kolonie während des Krieges jährlich mehrere Unterhaltungsabende ab, so am «Tag der Arbeit» (1. Mai) und am «Erntedankfest».

So wurde im Deutschen Heim im April 1940 der «Führergeburtstag» gefeiert Bild: stgallen24/Archiv/zVg

Die Programme wurden durch in St.Gallen ansässige Künstler des Stadttheaters und des Städtischen Orchesters sowie teilweise durch Zuzug von Kräften, die durch das Propagandaministerium in Berlin nach der Schweiz geschickt worden waren, bestritten. Zur Hebung der allgemeinen Stimmung unter den deutschen Staatsangehörigen waren solche Veranstaltungen von grosser Bedeutung. Diese Abende wurden in den sogenannten guten Zeiten teilweise von nahezu 2000 Personen besucht.

Es fanden zudem auch sogenannte «Eintopfessen» statt, deren Reinerträge dem «Winterhilfswerk» (Reichsdeutschenhilfe in der Schweiz) zugutekamen. In jener wirtschaftlich schwierigen Zeit wurden vielleicht auch manche Hungerleider an einem solchen Essen satt.

So wurde zum «Führergeburtstag» eingeladen Bild: stgallen24/Archiv/zVg

Eine unvollständige Zusammenstellung über die wichtigeren Veranstaltungen der «reichsdeutschen Volksgenossen» von 1933 bis 1945 in der Stadt St.Gallen belegt, dass zahlreiche Anlässe vor allem im «Schützengarten» stattfanden. Zur Feier des Tages der Machtergreifung, die im Januar (noch 1945!) durchgeführt wurde, kamen am 20. April «Führers Geburtstag» und Ende April der «Tag der nationalen Arbeit». «Führers Geburtstag» mit «Verpflichtungsfeier der Hitlerjugend», der am 20. April 1944 immer noch gefeiert wurde, fiel dann jedoch 1945 aus. Der «grösste Feldherr aller Zeiten» hatte sich am 30. April 1945 im Bunker der Reichskanzlei in Berlin erschossen.

Anlässe fanden auch im «Deutschen Heim» an der Teufener Strasse 5 statt, beispielsweise im Oktober 1938 ein «Elternabend», veranstaltet von der Hitlerjugend. Die Räume sollen sich dann aber als zu klein erwiesen haben. Es sei, heisst es in einem Polizeibericht, «wiederholt vorgekommen, dass Leute wieder fortgehen mussten, weil kein Platz mehr für sie vorhanden war».

Das «Deutsche Heim» wurde dann an die Haldenstrasse 1 verlegt, wo am 20. April 1940 der Geburtstag des Führers Adolf Hitler (1889–1945) gefeiert wurde.

Das ehemalige «Deutsche Heim» an der Haldenstrasse 1 Bild: stgallen24/Archiv/zVg

Während verschiedener Gespräche erzählte mir Hans Tobler (1923–2023), der an der Wassergasse aufgewachsen ist, vom «Deutschen Heim», wo die Wände des Raumes von oben bis unten mit Hakenkreuzfahnen verhängt gewesen und wo Deutsche, die nicht der Partei angehörten, hart bedrängt und zum Mitmachen genötigt worden seien.

Am 22. November 2021 konnte ich mit Hans Tobler im damals in Renovation befindlichen Haus an der Haldenstrasse 1 das ehemalige «Deutsche Heim» besuchen. An den Fenstern stand noch «El Miguel» und «Restaurant Café Bar». Im leergeräumten Raum war es staubig, dunkel und kalt.

Unglaublich lebendig erzählte der bald Hundertjährige, wie er eines Tages den feiernden Deutschen den Weinkeller hätte aufschliessen sollen – er war Schlosser von Beruf –, weil sie keinen Wein mehr hatten. Sein Vater habe ihm das aber verboten; er war der Meinung, «die huere Nazi» bräuchten keinen Wein. Hans wusste noch genau, wo seinerzeit das Hitlerporträt und die Hakenkreuze hingen; er konnte sie anhand einer Abbildung lokalisieren.

Hans Tobler in der Haldenstrasse 1, wo früher die Nazi-Zusammenkünfte stattgefunden haben Bild: stgallen24/mik

Quellen und Literatur

  • Zur Geschichte der Stadt St.Gallen vor dem Zweiten Weltkrieg, hg. von Ernst Ziegler, darin: Ziegler, Ernst: Die Stadt St.Gallen in den dreissiger Jahren, S. 23–44, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1982, 72. Jg., S. 21–80.
  • Ziegler, Ernst: Als der Krieg zu Ende war …, Zur Geschichte der Stadt St.Gallen von 1935 bis 1945, Vorlesungsmanuskript 1995, Universität St.Gallen, St.Gallen 1996 (Stadtarchiv (Vadiana) St.Gallen).
  • Jüdische Flüchtlinge in St.Gallen – zwei Beispiele, in: Rorschacher Neujahrsblatt 1998, 88. Jg., S. 3–30.
Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar