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Kanton
31.05.2024

«Qualität wichtiger als der Preis»

Jürg Lymann (l., Präsident der Ärztegesellschaft Kanton St.Gallen), Eva Lemmenmeier (2.v.l., SP-Kantonsrätin) und Dana Zemp (3.v.r., ehemalige Kantonsärztin) marschierten voraus.
Jürg Lymann (l., Präsident der Ärztegesellschaft Kanton St.Gallen), Eva Lemmenmeier (2.v.l., SP-Kantonsrätin) und Dana Zemp (3.v.r., ehemalige Kantonsärztin) marschierten voraus. Bild: Jonas Schönenberger
Für ein Nein zur Kostenbremse-Initiative marschierten gestern über hundert Vertreter aus der Medizin durch St.Gallens Innenstadt. Das Schweizer Stimmvolk stimmt am 9. Juni 2024 ab.

Dass Menschen aus Pflegeberufen für politische Angelegenheiten auf die Strasse gehen, kommt fast nie vor. Und trotzdem hat es eine Abstimmung geschafft, sie für einen Abend aus ihren Praxen, Sprechzimmern und Apotheken zu holen: die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» – kurz die Kostenbremse-Initiative.

Über hundert Personen versammeln sich um 17:30 Uhr vor dem Eingang zum Pfalzkeller, genauer gesagt im Tor zum Klosterhof, um vor dem fallenden Regen sicher zu sein. Unter ihnen die ehemalige Kantonsärztin Dana Zemp, die am 14. April die Wahl in den Regierungsrat knapp verpasste, sowie die SP-Kantonsrätin und Infektiologin Eva Lemmenmeier. Wenig später, während einer kurzen Regenpause, setzte sich der Zug in Bewegung.

Das will die Kostenbremse-Initiative

Doch wogegen kämpfen die Demonstranten eigentlich? Die Kostenbremse-Initiative greift ein altes Problem auf, für das bis jetzt noch keine mehrheitsfähige Lösung gefunden wurde. Seit der Einführung der obligatorischen Krankenversicherung 1996 sind die Kosten von Behandlungen deutlich gestiegen und entsprechend die Prämien, die Herr und Frau Schweizer bezahlen müssen.

Diesem Anstieg möchte das Initiativkomitee rund um die Partei «Die Mitte» nun einen Deckel setzen. Die Lohnentwicklung und das Wirtschaftswachstum sollen vorgeben, wie stark die Prämien steigen dürfen. Bund und Kantone müssten Massnahmen ergreifen, dass die Prämien im zulässigen Rahmen bleibt.

Zweiklassenmedizin und lange Wartezeiten – zwei der Sorgen der Gegnerschaft. Bild: Jonas Schönenberger

Das sagt das Nein-Komitee

Diesen Mechanismus finden die Gegner der Initiative «absurd». Für sie ergibt es keinen Sinn, die Ausgaben an die Wirtschaftsentwicklung zu koppeln, da schliesslich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten häufiger gesundheitliche Probleme auftreten würden.

Weiter wird kritisiert, dass die Initianten keine Lösungen vorgeben, wie das Kostenziel erreicht werden soll. Dies führe dazu, dass willkürlich Leistungen gestrichen würden, die bis anhin von der Grundversicherung gedeckt wurden. Dann müsse man die Kosten aus der eigenen Tasche bezahlen. Das Resultat wäre eine sogenannte «Zweiklassenmedizin». Menschen mit beschränkten finanziellen Möglichkeiten könnten gewisse Leistungen nicht mehr bezahlen.

Vadian als Vorbild

Diese Botschaften finden sich auch auf den Transparenten der Demonstranten. Gemeinsam ziehen sie durch die Altstadt und kommen schliesslich vor der Vadianstatue in der Marktgasse zum Halt. Die Pointe dahinter: Vadian, der St.Galler Reformator, war selbst Arzt. Ein Arzt, der für seine Anliegen eingestanden ist.

Es folgt eine kurze Ansprache von Jürg Lymann, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons St.Gallen. Die regnerischen Bedingungen kommentiert er mit etwas Galgenhumor: «Wir Ärzte sind uns ja garstige Bedingungen gewohnt. Aber manchmal muss man eben auch mal die Stimme erheben.»

  • Symbolischer Platz: Joachim Vadian, Reformator von St.Gallen, war einst selbst Arzt. Bild: Jonas Schönenberger
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  • Jürg Lymann, Präsident der Ärztegesellschaft St.Gallen sprach von einer Verantwortung des Pflegepersonals. Bild: Jonas Schönenberger
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Verantwortung für Patienten

Der Grundsatz ist klar: «Alle sollen das Recht auf eine qualitativ hochwertige und zeitnahe Pflege haben. Bei einer Annahme der Initiative wäre das in Gefahr.» Er betonte auch die Verantwortung, welche die Ärzte gegenüber den Patienten hätten. «Ein Ja zu dieser Initiative können wir nicht verantworten.»

Lymann sorgt sich zudem um die Zukunft der Forschung. «Die Medizin ist eine Wissenschaft, die sich immer wieder verändert. Dazu braucht es Innovation und Fortschritt. Der starre Kostendeckel verhindert das.»

Starke, faire und fortschrittliche Medizin

Die hohen Kosten der Krankenversicherungen muss Jürg Lymann klar eingestehen. «Wir müssen ehrlich sein: Ja, Qualität hat ihren Preis. Die Frage ist, sind wir bereit, aus Kostengründen auf die Qualität zu verzichten? Ich bin es nicht. Wir benötigen eine starke, faire und fortschrittliche Medizin. Und deshalb gibt es auf diese Initiative nur eine Antwort: Nein.»

Lymann ruft die Menge dazu auf, aktiv zu werden und für ein Nein zu werben. «Verbreitet die Fakten in eurem Freundeskreis. Erklärt, worum es geht. Ich weiss, es ist nicht ganz einfach zu erklären. Aber wir müssen alles geben, dass diese unmögliche Initiative am 9. Juni an der Urne scheitert.»

Jonas Schönenberger, stgallen24 / Linth24