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Gesundheit
07.01.2024

Drei Experten für Ihre Psyche

Von links nach rechts: Alain de Botton, Gabor Maté, Friedrich Nitzsche
Von links nach rechts: Alain de Botton, Gabor Maté, Friedrich Nitzsche Bild: Montage Linth24
Mentale Gesundheit hat an Bedeutung zugenommen. Drei Experten zu diesem Thema, vorgestellt von Anouk Arbenz. Optimaler Lese- und Gedankenstoff für einen kalten Sonntag.

Die mentale Gesundheit ist in jeder Lebenslage und in jedem Alter wichtig. Sie beinhaltet unser emotionales, psychisches und soziales Wohlbefinden. Die mentale Gesundheit beeinflusst, wie wir denken, was wir fühlen und wie wir handeln. Sie bestimmt, wie wir miteinander und wie wir mit Stress oder Entscheidungen umgehen.  

Mit der mentalen Gesundheit sollte man sich das ganze Jahr hindurch und über das ganze Leben hinweg beschäftigen. Oftmals fehlt uns aber die Zeit dafür oder wir nehmen sie uns nicht. Anfang Jahr, wo man nach den Fest- und Ferientagen häufig langsam erst in die Gänge kommt, bietet sich an, um sich angesichts des neuen Jahres erst einmal mit sich selber zu beschäftigen. Wir empfehlen euch folgende 5 Experten in Sachen mentale Gesundheit, die auch via Video, Podcast oder Buch Wichtiges zu sagen haben:

1. Alain de Botton

Völlig klar, dass er die Nummer 1 ist – keiner drückt sich so eloquent, auf den Punkt und verständlich aus wie der britisch-schweizerische Schriftsteller und Philosoph Alain de Botton. Seine Bücher «A School of Life» und «A Therapeutic Journey» sind Welt-Bestseller geworden. Daneben hat er viele weitere erfolgreiche Bücher geschrieben. Sein Youtube-Kanal @theschooloflivetv hat 8,75 Millionen Abonnenten. Ein paar seiner Lehren:

  • Laut Alain de Botton formt unsere frühe Kindheit unseren Charakter und die gemachten Erfahrungen prägen uns das ganze Leben lang. Ein Kind, das zum Beispiel emotional oder physisch unterdrückt wurde, entwickelt eine Art zweites Ich. Das «reale Ich» mit dessen Gefühlen wie Wut oder Trauer wird unterdrückt. Das kann sich irgendwann rächen. Es kommt irgendwann zu einer Krise, einem Zusammenbruch, bei dem sich das reale Ich zeigt, oder es entwickeln sich körperliche Beschwerden aufgrund der unterdrückten Emotionen.
«Unser Kopf arbeitet dann am besten, wenn wir nicht dabei sind. Die Antworten, die wir brauchen, bekommen wir am nächsten Morgen. »
Alain de Botton
  • Das gilt nicht nur für die Kindheit: «Unverarbeitete Emotionen allgemein wollen sich auf jegwelche Art Gehör verschaffen.» Ich empfehle jedem, am Abend für eine Zeit in der Stille zu sitzen und sich zu fragen: Was habe ich heute gefühlt? Was habe ich in dieser oder jener Situation gefühlt? Woher kommt das? «Increase the level of awareness.»
«Beim Kennenlernen solltest du fragen: Bist du pflegeleicht im Zusammenleben? Wenn die Antwort lautet: Ja, dann renne!»
Alain de Botton
Bild: Archiv
  • «Liebe ist ebenso wichtig für uns wie Vitamine und Nährstoffe.» Alain de Botton sagte einmal (in etwas anderen Worten): Wenn jemand in einem Ferrari an dir vorbeifährt und den Motor heulen lässt, ist dies einer von vielen Versuchen, Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erhaschen. Und das ist nichts anderes als die Suche nach Liebe. Diese Person hat vermutlich nicht genug Liebe erfahren.
«Wir ärgern uns, wenn wir unsere Schlüssel verlieren oder im Stau stehen. Als ob wir in einer Welt leben würden, in der das nie vorkommt. Unsere Erwartungen definieren, was uns ärgert.»
Alain de Botton
«Sex ist ein Moment grösster Verletzlichkeit. Ist man in irgendeiner Weise durch den Partner verletzt oder verärgert worden, will man sich nicht vor ihm weiter verletzlich machen. Wir haben dann keine Lust auf Sex, wissen aber nicht, wieso. Nämlich, weil wir wütend sind.»
Alain de Botton
«Moderne Gesellschaften, oftmals die ambitioniertesten, führen ihr Volk in den Suizid. Wieso? Diese Frage beschäftigt mich sehr.»
Alain de Botton
«Akzeptiere das, was grösser ist als du und das du nicht verstehst. Die Welt mag dir unlogisch erscheinen, aber das heisst nicht, dass sie es auch ist. Unser Leben ist nicht das Mass aller Dinge: gehe an Orte, die dich daran erinnern, wie unbedeutend und schwach der Mensch doch ist. »
Alain de Botton
«Wenn auf der Arbeit alles drunter und drüber geht, hilft es, sich daran zu erinnern, dass unsere Identität weit über das hinaus geht, was auf unserer Visitenkarte steht, dass wir ein Mensch waren bevor wir Angestellte wurden und dass wir immer Mensch sein werden, auch dann, wenn wir unsere Werkzeuge und Arbeitsutensilien für immer ablegen. »
Alain de Botton
Bild: Archiv
  • Pessimismus ist gar nicht so übel: Wir sind dann enttäuscht oder wütend oder traurig, wenn unsere Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Erwartungen klein zu halten und auf alles Schlimme, das passieren könnte, vorbereitet zu sein, schützt einen also davor. Einem Publikum empfahl er im Zusammenhang mit Impotenz: «Eigentlich sollten Sie von sich sagen, dass sie schlecht im Bett sind. Dann haben Sie die grösste Chance, positiv zu überraschen.» Wer fest mit dem Erfolg rechne, werde garantiert scheitern.
«Zufriedenheit zu erlangen ist nicht einfacher als Violine zu spielen. Es braucht genauso viel Übung. »
Alain de Botton
  • Alain de Botton verachtet den Begriff Work-Life-Balance. Den Beruf als Quelle des Glücks oder gar als Berufung zu empfinden, ist für ihn Teil unseres heutigen Unglücks.
« Wir glauben, der Partner muss uns lieben und nehmen, wie wir sind. Auf keinen Fall! Man muss dem Partner unbedingt klar machen, was nicht ok ist, was einen stört. Vielleicht kann unser Partner uns auf wichtige Dinge hinweisen, die man über sich lernen sollte. »
Alain de Botton
Bild: Archiv
«Seelenverwandtschaft ist Quatsch. Wir verlieben uns in spezifische Charaktertypen. Das hat mit unserer Kindheit zu tun. Wir verlieben uns in Menschen, die ähnlich sind wie jene, die wir als Kinder als Erstes geliebt haben. »
Alain de Botton
  • Alain de Botton ist überzeugt: «Liebe ist kein Gefühl, sondern eine erlernbare Fähigkeit. Erst wenn wir unsere romantischen Vorstellungen über Bord werfen, können wir richtig zu lieben beginnen.»

2. Gabor Maté

Dr. Gabor Maté ist ein ungarisch-kanadischer Arzt, Autor und Redner, der für seine Arbeit im Bereich der Suchtmedizin, psychischen Gesundheit, Trauma und Kinderentwicklung bekannt ist. Zu seinen erfolgreichsten Büchern zählen «When the Body Says No: The Cost of Hidden Stress» (2003) (hör dir dazu beispielsweise diesen Podcast an) und «In the Realm of Hungry Ghosts: Close Encounters with Addiction» (2008)

Maté ist selbstkritisch und erzählt offen von seinen eigenen Problemen – mit ADS und von der Angst, nicht genug zu sein, weshalb er ein «workaholic» geworden sei. Maté ist jüdisch, seine Grosseltern starben in Auschwitz. Seine Mutter musste ihn als Baby für mehrere Wochen weggeben, weil sie sich wegen des Kriegs nicht um ihn kümmern konnte. Gabor Maté ist überzeugt, dass seine Probleme von dieser Zeit entstanden sind.

  • Gabor Maté ist überzeugt: Die Quelle jedes Suchtverhaltens ist eine schmerzliche Erfahrung. Der Versuch, dem Schmerz zu entfliehen, verursacht nur mehr Leid. «Nicht jede Sucht gründet auf einem Trauma oder einem Missbrauch, aber ich glaube dass jede Sucht auf einer schmerzhaften Erfahrung gründet.»
«Es ist unmöglich, eine Sucht zu verstehen, ohne zu fragen, welche Linderung sich der oder die Süchtige durch die Droge oder das Suchtverhalten erhofft. »
Gabor Maté
«Wenn ich neidisch auf jemanden bin oder jemanden allzu schnell vorverurteile, dann liegt das daran, dass ich in ihnen Aspekte meiner Selbst sehe oder spüre, die ich mir nicht eingestehen oder nicht anerkennen will.»
Gabor Maté
Bild: Archiv
  • In seinen Vorträgen liest Gabor Maté des öfteren Nachrufe aus Zeitungen vor, welche Menschen gewidmet sind, welche früh gestorben sind. Meist fällt ihm dann auf, was der Grund für den frühen Tod – für den Brustkrebs, für die ALS, den Herzinfarkt etc. – dieser Person ist. Meist seien es grossherzige, aufopfernde Menschen, welche ihr Leben lang anderen «gedient» haben und sich nicht um sich selbst gekümmert haben. Menschen, die negative Gefühle unterdrücken. Im Nachruf würden diese Eigenschaften dann positiv hervorgehoben. Für die betroffene Person habe aber genau das zum Tod geführt, so die Theorie von Maté. 
«Die Forschungsliteratur hat drei Stressfaktoren identifiziert: Unsicherheit, mangelnde Information und Kontrollverlust.»
Gabor Maté
«Die Verbindung zu unserem natürlichen Mitgefühl gegenüber uns selbst zu verlieren, ist einer der grössten Verluste, die wir erleben können. Wenn wir die Fähigkeit, unseren Schmerz zu spüren, verlieren, verlieren wir auch die Hoffnung auf Heilung, Würde und Liebe.»
Gabor Maté
  • Gabor Maté: «Der grösste Schaden, den Vernachlässigung, Trauma oder emotionaler Verlust anrichten, ist nicht der unmittelbare Schmerz, den sie verursachen, sondern die langfristigen Verzerrungen, die sie in der Art und Weise hervorrufen, wie ein sich entwickelndes Kind die Welt und seine Situation darin weiterhin interpretiert. Allzu oft werden diese schlecht konditionierten impliziten Überzeugungen zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen in unserem Leben. Wir erschaffen Bedeutungen aus unserer unbewussten Interpretation früherer Ereignisse. Unbewusst schreiben wir die Geschichte unserer Zukunft aus Erzählungen, die auf der Vergangenheit basieren...» Achtsamkeit könne diese verborgenen, auf der Vergangenheit basierenden Perspektiven ins Bewusstsein rücken, «so dass sie unsere Weltsicht nicht länger bestimmen».
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«Alle Diagnosen, mit denen wir zu tun haben – Depression, Angststörung, ADHS, Bipolare Störung, PTSD, Psychose – finden ihren Ursprung in einem Trauma. Sie sind Ausdruck eines Traumas. Das muss nicht unbedingt heissen, dass etwas «Schlimmes» passiert ist. Es kann schlicht und einfach sein, dass in der Vergangenheit nicht auf die emotionalen Bedürfnisse des Kindes eingegangen wurde.»
Gabor Maté
«Wir müssen unseren Kindern emotionale Kompetenz vermitteln – das ist die beste Präventiv-Medizin. »
Gabor Maté
«Kinder beziehen alles auf sich, denn in ihrer Welt sind sie das Zentrum. Wenn Eltern streiten, geht das Kind davon aus, dass es Schuld am Streit ist. Solche Erfahrungen haben grossen Einfluss auf Verhaltensweisen als Erwachsene.»
Gabor Maté
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  • Auch über Donald Trump weiss Gabor Maté Interessantes zu sagen. «Ein Narzisst nach Lehrbuch». Aufgrund der Art, wie er seinen Mund bewegt, seiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne und seiner Unfähigkeit, Impulse zu kontrollieren, wird ihm auch ADHS unterstellt. Trumps Ghostwriter beschrieb ihn als «Kindergärtler, der nicht still sitzen und sich auf etwas konzentrieren kann». Laut Gabor Maté liegt diesem Verhalten bzw. seiner Erkrankung ein Kindheitstrauma vor (übrigens sagte er das auch über Hilary Clinton). «Trump's Vater war ein workaholic, ein kaltherziger, skrupelloser und autoritärer Mann, der glaubte, dass das Leben ein Wettkampf ist, bei dem nur die ‹Killer-Typen› gewinnen. Mehr als irgendjemand sonst, den ich je kennengelernt habe, hat Donald Trump die Fähigkeit, sich jederzeit davon zu überzeugen, dass das, was er sagt, immer wahr ist.» Das sei seine Art, mit Stress oder emotionaler Belastung umzugehen. Seine Besessenheit von sich selbst zeuge von einem Mangel an Fürsorge. Seine «Grandiosität» verdecke eine tief-negatives Selbstwertgefühl. Seine Schikanen sollen seine eigenen Schwächen verstecken und seine Lügen seien zu einer Überlebensstrategie geworden. Und seine Frauenfeindlichkeit «ist die nach aussen projizierte Rache eines Sohnes an einer Mutter, die ihn nicht beschützen konnte».

3. Friedrich Nietzsche

Der weltbekannte Philosoph Friedrich Nietzsche (19. Jahrhundert) sprengte sowohl mit seinem Denken als auch mit seinem Stil bis dahin gängige Muster und liess sich zunächst keiner klassischen Disziplin zuordnen. Heute gilt er manchen als Begründer einer neuen philosophischen Schule, der Lebensphilosophie. Ab seinem 45. Lebensjahr litt er unter zunehmenden psychischen Störungen, die ihn arbeits- und geschäftsunfähig machten. Seinen Anfang der 1890er Jahre einsetzenden Ruhm erlebte er nicht mehr bewusst. Seine Mutter und seine Schwester pflegten ihn. Er starb mit 55 Jahren.

Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Für ihn hatten Ideale wie Gleichheit oder Mitleid keine objektive Gültigkeit. Vielmehr verändern Werte sich je nach historischer Situation und sind zudem Ausdruck verschleierter psychologischer Bedürfnisse, so seine Ansicht. Nietzsche stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter postmodernerphilosophischer Ansätze. 

Bild: Archiv
«Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer.»
Friedrich Nietzsche
«Im Gebirge der Wahrheit kletterst du nie umsonst: entweder du kommst schon heute weiter hinauf, oder du übst deine Kräfte, um morgen höher steigen zu können.»
Friedrich Nietzsche
«Bei der ungeheuren Beschleunigung des Lebens werden Geist und Auge an ein halbes und falsches Sehen und Urteilen gewöhnt.»
Friedrich Nietzsche
«Das absolute Wissen führt zum Pessimismus: die Kunst ist das Heilmittel dagegen.»
Friedrich Nietzsche
Bild: Archiv
«Wenn einer sehr lange und hartnäckig etwas scheinen will, so wird es ihm zuletzt schwer, etwas anderes zu sein.»
Friedrich Nietzsche
«Wer seinen Gegner töten will, mag erwägen, ob er ihn nicht gerade dadurch bei sich verewigt»
Friedrich Nietzsche
«Leben heisst leiden, überleben heisst im Leiden einen Sinn finden.»
Friedrich Nietzsche
«Aber wie finden wir uns selbst wieder? Wie kann sich der Mensch kennen? Er ist eine dunkle und verhüllte Sache; und wenn der Hase sieben Häute hat, so kann der Mensch sich sieben mal siebzig abziehn und wird noch nicht sagen können: Das bist du nun wirklich, das ist nicht mehr Schale.»
Friedrich Nietzsche

Empfehlenswerte (Hör-)Bücher und Texte von und über Friedrich Nietzsche

 

  • Wie man wird, wer man ist (1988): Es zeigt den »Überwinder des Nihilismus« wie den glänzenden Psychologen, den Künstler, Stilisten und Kritiker inseinen Ansprüchen und Diagnosen ebenso wie den einsamen, prophetischen Zeitbeobachter und gnadenlosen Antichristen aus protestantischem Pfarrhaus.
  • On Truth Lies a nonmoral Sense (1873): Dies ist ein Schlüsseltext in Nietzsches Gesamtwerk. Jede Erkenntnis ist abhängig von einer Lebensform: Wurm, Pflanze oder Mensch nehmen die Welt anders wahr. Da die Wörter nur Nervenreize abbilden, können sie nicht die äußere Welt darstellen.
  • Also sprach Zarathustra: In diesem wohl meistgelesenen Werk von Friedrich Nietzsche begegnet man hinter der Maske des persischen Religionsstifters zentralen Themen seines Denkens: der These vom Tod Gottes, der Lehre vom Übermenschen, dem Willen zur Macht und dem Gedanken der ewigen Wiederkehr.
Anouk Arbenz, Redaktion March24