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01.01.2024
02.01.2024 07:39 Uhr

St.Gallen und Radsport - Teil1

Das Rennen in Saint-Cloud
Das Rennen in Saint-Cloud Bild: over-blog.com
Zum allerersten Mal endet die Tour de Suisse 2023 in St.Gallen. Deshalb wirft Oliver Ittensohn vom Stadtarchiv einen Blick zurück in die Geschichte des Radsports. Teil 1: Die ersten Rennen.

Unsere Geschichte beginnt am 31. Mai 1868 in Paris: Im Park von Saint-Cloud westlich der Hauptstadt strömen am 31. Mai 1868 grosse Menschenmassen zusammen. An diesem Sommertag rennen allerdings nicht wie üblich Pferde um die Wette.

Es erwartet die Zuschauer etwas Neues: zwei Rennen auf sogenannten vélocipèdes («Schnellfüsse»).

Zwar hatte man diese neuen Fortbewegungsmittel bereits hie und da auf den Strassen von Paris sehen können, aber nun traten die exotischen Gefährte ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Das geplante Rennen führt unter den Blicken der gespannten Zuschauer über eine 1'200 Meter lange Strecke. Die Gewinner der beiden Rennen mit Namen Polocini und Moore legen die Strecke auf ihren noch einfach konstruierten Velos in ungefähr zweieinhalb Minuten zurück, mit einer Spitzengeschwindigkeit von bereits 25 km/h. Voller Bewunderung und Anspannung wird das Rennen verfolgt, und am Tag danach berichten die grossen Pariser Tageszeitungen darüber. Ein neuer Sport hatte das Licht der Welt erblickt.(1)

Das Velo, Fahrrad oder vélocipède war indessen bereits fast 50 Jahre früher erfunden worden.

In der Forschung gilt heute der Mannheimer Reichsfreiherr Karl Friedrich Drais von Sauerbronn (1785–1851) als der eigentliche Pionier. Von Beruf Forstbeamter konstruierte er verschiedene hölzerne Wagen mit Fusskurbeln. Einer seiner Entwürfe erschien ihm vielversprechend: 1817 reichte er bei der badischen Regierung ein Patent für eine Laufmaschine ein.

Sie bestand aus einem Holzrahmen, zwei Speichenrädern, einem gepolsterten Sitz und einem deichselähnlichen Lenkmechanismus. Sie verfügte noch über keine Pedale. Um sich fortzubewegen, musste man sich abwechselnd mit einem Bein vom Boden abstossen. Trotzdem liess sich mit diesem Gefährt bereits eine Geschwindigkeit von ca. 10 km/h erreichen, und war damit viermal schneller als die herkömmliche Postkutsche.(2)

Den endgültigen Durchbruch verdankte Drais’ Erfindung indes dem durch den Franzosen Pierre Michaux (1813–1883) entwickelten Pedalantrieb.

Michaux präsentierte erstmals seine Fahrräder oder «Michaulinen» auf der Pariser Weltausstellung von 1867. Sie faszinierten sofort. Bald fuhren Adlige und Prominente in ganz Paris und Umgebung Fahrrad. In Michaux’ Fahrradwerkstatt arbeiteten zeitweise über 500 Mechaniker rund um die Uhr, um den reissenden Absatz zu bedienen.

In den folgenden Jahrzehnten kamen schliesslich die letzten wesentlichen Weiterentwicklungen dazu: Die «Michaulinen» bekamen durch den Engländer John Kemp Starley (1854–1901) im Jahr 1885 die heutige Form mit gleich grossen Vorder- und Hinterrädern und einem stabilen Rahmen («Sicherheitsniederrad»). Dank dem Schotten John Boyd Dunlop (1840–1921) fuhren ab 1888 die Fahrer nicht länger auf Hart-, sondern auf mit Luft gefüllten Gummischläuchen («Luftreifen»).

(1) Maso, Benjo: Der Schweiss der Götter, S. 5f.
(2) Schröder, Ralf: Radsport, S. 10f.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil: Das Fahrrad in seinen Anfängen – etwas für Kenner und Abenteurer.

Oliver Ittensohn