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Sport
30.08.2020
31.08.2020 07:11 Uhr

«Ich habe einige Tränen verdrückt»

Sandra Stöckli bei ihrer Fahrt in Rio
Sandra Stöckli bei ihrer Fahrt in Rio Bild: zv
Die Joner Para-Cycling Athletin Sandra Stöckli holte im 2016 an den Sommerspielen in Rio das Paralympische Diplom. Vier Jahre hat sie sich danach auf die Spiele in Tokio vorbereitet, die diese Tage hätten stattfinden sollen.

2016 war ihr grosses Jahr. Die Joner Para-Cyclistin Sandra Stöckli qualifizierte sich für die Paralympics in Rio de Janeiro und gewann dort sogar ein Paralympisches Diplom. Nach diesem Grosserfolg setzte die Jonerin alles auf die Karte «Tokio»: Vier Jahre lang hat sie sich zusammen mit ihrem Team auf die rund zehn Tage dauernden Paralympics vorbereitet und war in Bestform.

Doch es sollte anders kommen. «Als ich das offizielle Mail von Swiss Paralympic erhielt, dass die Spiele aufgrund des Coronavirus abgesagt seien, da sass ich am Tisch und habe  einige Tränen verdrückt.» Wie Sandra Stöckli nun die Motivation findet, nochmals ein Jahr Vorbereitung anzuhängen und nochmals so viel Strapazen auf sich zu nehmen, das wollten wir genauer wissen. Linth24 hat sie zuhause besucht.

Bild: zv

Sandra Stöckli, Sie sind heute Nachmittag zuhause in Jona, kommen gerade vom Training. Eigentlich sollten Sie genau jetzt wo anders sein.
Ja, eigentlich sollte ich genau jetzt in Tokio sein, kurz vor der Eröffnungsfeier, stattdessen bin ich hier in Jona in meiner Stube. 

Was geht in Ihnen dabei vor?
Es ist ein sehr spezielles Gefühl. Denn es läuft ein Film im Kopf ab. Man denkt zurück, wie es vor vier Jahren in Rio war und wie es jetzt sein könnte - und auch was für Anstrengungen wir in den letzten vier Jahren unternommen haben, um das grosse Ziel zu erreichen.

Sie steckten vor dem Lockdown vor den Qualifikationen für die Teilnahme und hatten eine ausgezeichnete Ausgangslage. Sie wurden letztes Jahr unter anderem auch Schweizer Meisterin auf der Strasse.
Ich war mitten in den Vorbereitungen für die ersten Qualifikationsrennen für Tokio, die im April hätten stattfinden sollen. Ich war in einer top Verfassung, und ich war mir sicher, dass ich im ersten Qualirennen in Italien die Sache klar machen würde. Mein Team und ich hatten uns vier Jahre lang auf diese Zeit vorbereitet und ich denke, ich war genau im rechten Moment in der besten Verfassung, um auch in Tokio wieder dabei sein zu können.

Als Aussenstehender könnte man jetzt sagen: Okay, es bedeutet eigentlich nur, dass es ein Jahr später stattfindet.
(lacht) Klar, das könnte man. Aber eine Verschiebung der Spiele bedeutet für den Sportler eine immense Auswirkung auf alles. Hinter einer solchen Verschiebung stehen grosse finanzielle Aspekte, dann aber auch die Frage: macht der Körper nochmals ein Jahr diese Strapazen mit. Denn alles war, wie gesagt, auf diesen August/September, alles auf den Punkt genau ausgerichtet. Das letzte Jahr vor den Spielen ist immer das intensivste, und da stellt sich auch die Frage, bringt man die Motivation auf, nochmals ein solches Jahr anzuhängen.

Holte in Rio ein Paralympisches Diplom: Sandra Stöckli aus Jona Bild: zv

Und? Nochmals Angriff?
Ich habe verständlicherweise ein paar Tage gebraucht, alles zu verarbeiten, dann war mir aber ziemlich schnell klar, dass ich nochmals angreifen will. Die Motivation, das Feuer für den Sport, das brennt. Die Crew bleibt glücklicherweise grösstenteils zusammen. Einen Wechsel gab es beim Trainer, sonst bleiben es, wie es ist.

Damit man überhaupt ein Gefühl erhält, wie das an den Spielen ist, machen wir doch einen Blick zurück nach Rio. Sie waren eine der Schweizer Athletinnen und durften auch die Eröffnungsfeier im Maracanã vor ausverkauften Rängen mitbestreiten.
Das war unbeschreiblich, unvorstellbar. Der Spirit des olympischen Feuers, das kann man nur spüren, wenn man vor Ort ist. Das Stadion war sowohl an der Eröffnungs- wie auch an der Schlussfeier bis auf den letzten Platz ausverkauft. Am Nachmittag mussten wir schon um 14.00 Uhr im Olympique Village bereit sein, und dann ging es Block um Block los, ein Car nach dem anderen wurde ins Olympiastadion Maracanã gefahren. Die Strassen waren alle abgesperrt und die Brasilianer machten ein riesiges Fest. Das Adrenalin floss in Strömen.

Das ganze Unternehmen «Tokio» klingt übrigens wie ein Fulltime-Job für Sandra Stöckli.
Das was ich mache, das kann man vergleichen, mit jemanden, der eine eigene Firma hat. Als Spitzensportler kennt man keine Feiertage, die Woche ist nicht am Freitag zu Ende und die Arbeitstage dauern teilweise bis spät in die Nacht. Ich beschäftige einen Trainer, Masseur und Physio sowie einen Sportpsychologen. Ich benötigen jemanden für mein Marketing, die Organisation von Trainingslagern, Wettkämpfen etc. Wie Sie sehen, geht es mehr als nur um Trainings und meine körperliche Verfassung. 

Wenn man das alles hört, der ganze Aufwand, die finanziellen Herausforderungen, Hand-aufs-Herz: lohnt sich das?
Wenn man in Rio, - oder hoffentlich in einem Jahr in Tokio - hinter der Schweizer Fahne ins Olympiastadion reinfährt, wenn man an den Spielen das Schweizer Kreuz auf der Brust trägt, wenn man auf der Startrampe bereit ist und es heisst «Switzerland go» und man fährt los, oh ja, glauben Sie mir, das ist jede Minute Training, jede Schweissperle und jeder Franken wert.

Mehr über Sandra Stöckli erfahren Sie auf ihrer Homepage und hier

Rolf Lutz, Linth24