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Kanton
02.12.2022
02.12.2022 07:41 Uhr

Mumien-Rückgabe gefordert

Mumie Schepenense in der Stiftsbibliothek St. Gallen.
Mumie Schepenense in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Bild: Stiftsbibliothek St.Gallen / jg
200 Gelehrte, Ägyptologen, Wissenschaftler, Künstler, Studenten und Mitglieder der Zivilgesellschaft fordern die Rückgabe der menschlichen Überreste von Shepen-Isis, die sich aktuell im Besitz der Stiftsbibliothek in St.Gallen befindet, an Ägypten.

«Wir sind sehr besorgt über die Ausstellung von Shepen-Isis in der Stiftsbibliothek St.Gallen, sowohl aus ethischer als auch aus rechtlicher Sicht, und unterstreichen hiermit unsere Forderung einer Rückführung. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als den jetzigen, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und unsere Zukunft als Ägypter gemeinsam in die Hand zu nehmen. Wir glauben fest an die kulturelle Kontinuität, unter deren Hinsicht Shepen-Isis unsere Vorfahrin ist. Unsere Ahnin in einer Glasvitrine auszustellen, nackt bis zur Brust, verstösst nicht nur gegen die Überzeugungen der alten Ägypter, sondern missachtet auch ihren Wunsch nach ewigem Leben», heisst es in einem offenen Brief der Ägyptischen Forschungs- und Zivilgesellschaft, der von 300 Personen unterschrieben ist.

Weiter schreiben diese:

«Als ägyptische Zivilgesellschaft waren wir in keiner Weise an dieser Entscheidung beteiligt. Wir lehnen die Objektivierung unserer Vorfahren ab, ihre Körper sind kein Kunstobjekt. Im August 1820 kamen die beiden Sarkophage mit Shepen-Isis‘ Körper in der Schweiz an. Acht Wochen nach ihrer Ankunft wurde Shepen-Isis in einer von Professor Peter Scheitlin geleiteten Zeremonie ausgewickelt. Alle Gäste durften ein Stück des Leinentuches von Shepen-Isis als Andenken mitnehmen.

Menschliche Überreste sind keine Attraktion! Wir halten die Handlungen der Vergangenheit für anstössig und die heutige Art der Zurschaustellung für eine unhaltbare Zumutung. Nach der Lektüre des wunderbar ausführlichen Buches „Schepenese - die ägyptische Mumie der Stiftsbibliothek St.Gallen“, verfasst von Peter Müller und Renate Siegmann und herausgegeben von Cornel Cornel Dora, erfahren wir folgende Fakten: Am 30. Januar 1820 erhält Karl Müller-Friedberg, Gründer und führender Politiker der Stadt St.Gallen, einen Brief aus Ägypten, der ihn über den Erwerb einer der „schönsten“ Mumien des alten Ägyptens und deren Verbringung nach St. Gallen informiert. (S.11) Heinrich Menu von Minutoli (1772 - 1846) hatte sie (vor Januar 1820) mit anderen Altertümern in Ägypten erworben und an den preussischen Staat verkauft (S.55).

Wir möchten an dieser Stelle anmerken, dass Minutoli ein Generalleutnant des preußischen Staates war - kein Archäologe oder Ägyptologe - was eindeutig auf seine nicht-akademischen oder pädagogischen Absichten hinweist. Aus den Dokumenten der „Ägyptischen Nationalbibliothek und des Archivs Dar al-Watha‘iq al- Qawmiya“ geht ausserdem hervor, dass Minutoli von Mehmet Ali, dem damaligen ägyptischen Gouverneur, nur zwei Genehmigungen zur Untersuchung archäologischer Stätten in Siwa und Girga erhalten hat, die beide im November 1820 ausgestellt wurden. Wie bereits erwähnt, wurde die Mumie von Shepen-Isis eindeutig vor November 1820 gefunden und aus ihrem Grab geraubt, was eindeutig auf eine illegale Handlung schließen lässt.

Wenn die Mumie nicht mit einer legalen Erlaubnis Ägyptens ausgegraben wurde, was de facto der Fall war, dann bleibt nur eine Möglichkeit: Grabraub und Plünderung. Der Raub wird auch in Cornel Doras Buch explizit erwähnt („Die Särge der Shepen-Isis dürften aus einer Raubgrabung stammen“, Schepenese, S.59). Denn die Mumie wurde aus ihrem Grab entfernt, bevor Auguste Mariette, der französische Ägyptologe, 1858 offiziell die Gräber im Hatschepsut-Tempel ausgegraben hat. (ebenfalls S.59) 1 ​ Lassen Sie uns gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen, gegen Plünderungen und Raub. Hier haben wir die deutliche Chance, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

DESHALB :

• Wir fordern die Stiftsbibliothek auf, mit einer ägyptischen Arbeitsgruppe, bestehend aus Ägyptolog:innen, Wissenschaftler:innen und Kulturaktivist:innen, zusammenzuarbeiten, um Shepen-Isis wieder nach Hause zu bringen und ihr den Frieden und den Respekt zu geben, den sie sich gewünscht hat.

• Wir schlagen vor, das Archiv der Abteibibliothek zu öffnen, um alle rechtsverbindlichen Verträge aus dem Jahr 1820 offenzulegen, die den Erwerb von Shepen-Isis belegen, sowie alle Briefe und Dokumente, die bei der Rückverfolgung ihrer genauen Herkunft helfen könnten.

• Wir sind dabei, die notwendigen Unterlagen für das ägyptische Aussenministerium vorzubereiten, um den offiziellen Antrag auf Restitution zu stellen.

Wir möchten Ihre Aufmerksamkeit auch auf die verschiedenen historischen Bibliotheken in Ägypten lenken. Zum Beispiel die Bibliothek von St.Catherine im Süden des Sinai, die 3.300 christliche Manuskripte und den Codex Sinaiticus umfasst, darunter die älteste handgeschriebene Kopie des Neuen Testaments aus dem vierten Jahrhundert.

Zur Bibliothek gehören auch ein Museum und eine alte Basilika. In Ägypten leben ca. zwanzig Millionen Christen. In der ägyptischen Geschichte verschmelzen Judentum, Christentum und Islam, die Seite an Seite lebten, was noch immer in der Architektur des alten Kairo zu sehen ist. Es besteht ein grosses Interesse an religiösen Kulturgütern, die in Ägypten ausgestellt werden sollen.

Eine Ausstellung in Ägypten mit Artefakten aus der Stiftsbibliothek wäre ein Präzedenzfall für die ganze Welt, ein Beispiel für einen ehrlichen kulturellen Austausch und eine vielversprechende Möglichkeit, Brücken zwischen unseren Kulturen zu bauen. Jede einzelne Mumie und jedes einzelne Objekt der altägyptischen Kultur spielt eine wichtige Rolle bei der Rekonstruktion unserer Geschichte. Jede Geschichte zählt!

Eine Mumie ist kein Objekt der Vergangenheit, Shepen-Isis ist ein Subjekt, das mit uns verbunden ist. Indem wir Wissen über unsere Vorfahr:innen und unsere Vergangenheit erlangen, tragen wir dazu bei, die Lebensgrundlagen und die Identität der heutigen Generation zu gestalten und ebnen den Weg für eine freie und gerechte Zukunft.»

MM/St.Gallen24