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05.09.2022
05.09.2022 08:30 Uhr

Energienotstand: «In einem Krisenfall sitzen wir alle im selben Boot»

Michael Bätscher, Geschäftsführer der Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG (EWJR)
Michael Bätscher, Geschäftsführer der Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG (EWJR) Bild: Bruno Hug
Der nächste Winter steht vor der Tür. Die grosse Frage ist: Geht uns der Strom aus? Michael Bätscher, Geschäftsführer der Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG (EWJR), sagt im Linth24-Interview, was Sache ist.

Herr Bätscher, wir stehen vor einer «Energiekrise», wie überall zu lesen ist. Haben Sie, wie es der ElCom-Chef kürzlich empfohlen hat, schon Kerzen und Holz gekauft?
Das war aus meiner Sicht eine etwas gewagte Aussage, denn viele können ja nicht mit Holz heizen. Aber immerhin hat diese Aussage viele aufgerüttelt. Nun aber hat der Bundesrat ja Massnahmen zum Stromsparen kommuniziert.

Was halten Sie von den Bundesrats-Vorschlägen?
Die Massnahmen sind sinnvoll. Und der Slogan, «jede Kilowattstunde zählt», ist richtig.

Müssen wir heute schon mit dem Stromsparen beginnen? 
Ja, absolut. Sparen ist jetzt schon sinnvoll. Die EWJR hat zum Beispiel alle Aussenbeleuchtungen bereits im August abgeschaltet, die Reaktionen auf den sozialen Netzwerken dazu waren sehr positiv. Ich zum Beispiel schalte meine Geräte  aus und lasse sie nicht im Standby-Modus.

«Das Sparen im Kleinen bringt sehr viel.»
Michael Bätscher, Geschäftsführer des Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG (EWJR)

Ich gebe es zu, ich lasse meinen Computer auch oft eingeschaltet oder drücke bei der Geschirr-Spülmaschine auf den Knopf der Totalreinigung, obwohl der Sparknopf vielleicht auch genügen würde. Ist solches von gestern? Oder anders gefragt: Hilft das Stromsparen im Kleinen viel?
Ja, auf jeden Fall. Für jeden allein ist es ein kleines Opfer, aber wenn alle sparen, bringt das sehr viel. Kalifornien hat im Jahr 2000/01 in der dortigen Energiekrise durch höhere Preise und Sparaufrufe die Stromnachfrage um 13 Prozent gesenkt.

Ist die prognostizierte Stromkrise nicht wieder ein weiterer Medienhype?
Nein. Es sind diverse Konstellationen, die zur heutigen Energiekrise führen, und das müssen wir alle sehr ernst nehmen. Die Stromkrise ist da und wir können das Problem nicht negieren.  

Was sind die problematischen Konstellationen?
Zuerst einmal sind in Frankreich momentan rund 30 von 56 Kernkraftwerken wegen Wartungsarbeiten und technischer Probleme nicht in Betrieb. Zweitens: Die grosse Trockenheit führt zu tiefen Füllständen in den Stauseen und reduziert die Leistung der Wasserkraftwerke. Und drittens natürlich der Krieg in der Ukraine, weshalb uns das Gas aus Russland fehlt. Und wenn diese drei Problemkreise noch mit einem harten Winter zusammenfallen würden, spitzt sich die Situation noch mehr zu. Insofern nochmals: Das Sparen von Energie ist wichtig und klug.

Können Sie als Geschäftsführer der EWJR dafür schauen, dass die Kunden in unserer Region mehr Strom haben als andere, oder sind Sie der Mangelsituation machtlos ausgeliefert?
Ja, wir sind von unseren Vorlieferanten abhängig. Da sitzen wir alle im selben Boot.

«Für dieselbe Energie fast 20 Mal mehr bezahlen.»
Michael Bätscher

Damit all jene klarsehen, die sich nicht mit dem Strompreis beschäftigen oder vom Vermieter eine einfach eine pauschale Nebenkosten-Abrechnung erhalten: Wo stand der Strompreis für eine Kilowattstunde vor einem Jahr und wo steht er heute? 
Wenn wir als EWJR vor eineinhalb Jahren auf Termin für 2023 Strom eingekauft hätten, hätten wir für 1 Kilowattstunde ohne Netzkosten und Abgaben, also rein für die Energie, rund 6 Rappen bezahlt (Bandenergie). Hätten wir letzten Freitag für 2023 Energie gekauft, hätten wir für dieselbe Kilowattstunde über 1 Franken bezahlt, also fast 20 Mal mehr. Wobei der Preis heute Freitag nun wieder auf 65 Rappen sank.

Ein Aufschlag von 1000 bis 2000 Prozent.
Ja, und das zeigt einerseits, wie drastisch der Preis für die Energie gestiegen ist und andererseits, wie volatil die Energiepreise geworden sind. Aber das zeigt auch, wie komplex das Stromgeschäft für die Energieversorger und die Kunden, die auf dem freien Markt Energie einkaufen, geworden ist. Die Probleme treffen jeden von uns. Aber auch grössere Verbraucher wie grosse Gastrobetriebe oder Industrien befinden sich in einem völlig neuen Energieumfeld und müssen mit bedeutend höheren Energiekosten kalkulieren.

Wie viele Kilowattstunden verbraucht eine durchschnittliche 4-1/2-Zimmerwohnung im Jahr? Und wieviel ein mittleres Einfamilienhaus?
Für eine Wohnung werden in einem Jahr rund 4’500 Kilowattstunden benötigt, für ein Einfamilienhaus rund 7’500.

Wieviel teurer wird nun der Stromverbrauch in einer Wohnung, respektive in einem Mehrfamilienhaus?
Mit den neuen Preisen bedeutet das bei uns in Rapperswil-Jona pro Wohnung Mehrkosten von rund 150 Franken pro Jahr, bei einem Einfamilienhaus sind es rund 250 Franken.

Das ist in Relation zu den stark gestiegenen Preisen aber sehr moderat, warum?
Die EWJR ist in der vorteilhaften Lage, dass wir bei der SN Energie AG beteiligt sind und den Strom nicht zu Marktpreisen beziehen müssen. Dank unserer Beteilung können wir relativ günstigen Strom beziehen.

Was ist die SN Energie AG?
Das ist ein Stromproduzent, an dem noch sechs andere Energieversorger beteiligt sind. SN Energie AG hat Beteiligungen und Bezugsrechte an verschieden Kraftwerken, so zum Beispiel am Wasserkraftwerk Zervreila im Bündnerland.

Das EWJR hat den Kunden kürzlich mitgeteilt, wie hoch der Strompreis fürs Jahr 2023 sein wird. Wie können Sie in einem derart schwankenden Markt noch fixe Preise garantieren?
Von Gesetzes wegen müssen wir die Tarife für ein Jahr fixieren. Durch die Beteiligung an der SN Energie AG dringt die Volatilität auf dem Strommarkt bei uns zur Zeit nicht durch. Wir haben beim Strompreis für 2023 inklusive aller Abgaben und Netzkosten eine Preissteigerung von rund 20 % kommuniziert. Wobei zu erwähnen ist, dass ein grosser Teil dieser Steigerung von den Mehrkosten von unseren Vorliegern auf der Netzseite herrührt.

«Ich bin grundsätzlich ein Befürworter der Kernenergie.»
Michael Bätscher

Die Rapperswil-Joner haben also Glück, respektive ein gutes EW, das sich bezüglich Strombezug abgesichert hat. Wie schaut das anderswo aus? 
Die nationalen und kantonalen Vergleichszahlen sind noch nicht publiziert, aber wir gehen davon aus, dass wir in der Region gut positioniert sind. Es gibt Energieversorger, die erhebliche Preisaufschläge publiziert haben.

In die Kristallkugel geschaut: Wird der Strompreis weiter steigen? 
Generell wird der Preis aufgrund der erwähnten Probleme Frankreich, Krieg in der Ukraine, Trockenheit und allenfalls kalter Winter sehr volatil bleiben. Umgekehrt hoffen wir, dass die Stromknappheit die Strombezüger auf allen Ebenen zum Sparen führt, was ein wichtiger Beitrag zur Entschärfung der Probleme sein dürfte.

Die Politik ist gefordert, die Energieproduktion wieder zu stabilisieren. Ein grosses Thema ist der Bau von Kernkraftwerken. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin grundsätzlich ein Befürworter der Kernenergie. Das Schweizer Stimmvolk hat aber den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Zudem müsste die Problematik mit dem Endlager vorgängig gelöst werden. Unter diesen Umständen scheint eine Realisierung eines neuen Kernkraftwerks zum heutigen Zeitpunkt als wenig realistisch.

Das heisst, wir brauchen neben dem Sparen neue Energiequellen. Was schlagen Sie vor?
Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien stark vorantreiben und die Umlagerung des Sommerstroms in den Winter bewerkstelligen. Wichtig sind in der Energieversorgung auch neue innovative Techniken.

«Wir werden wohl keine Weihnachtsbeleuchtung sehen.»
Michael Bätscher

Man hört immer öfter, dass sich Landwirte, Gewerbetreibende und Einfamilienhausbesitzer mit einem Stromgenerator ausrüsten. Kann ein solcher am hausinternen Stromnetz angeschlossen und  können damit zum Beispiel auf einem Bauernhof Melkmaschinen betrieben werden? 
Ja, man kann das machen, aber es braucht Anpassungen und teure Installationen, die sich meist nicht lohnen. Es gibt nur wenig Fälle, wo eine solche Notstromerzeugung Sinn macht. Zum Beispiel die Wasserversorgung, die ihre Pumpen in jedem Falle in Betrieb halten müssen.

Viele Hausbesitzer beschäftigen sich damit, eine Photovoltaik-Anlage auf ihr Dach zu bauen. Ist der Besitzer einer solchen Anlage Selbstversorger oder sitzt auch er im Dunkeln, falls der Strom im kommenden Winter abgestellt wird?
Dann sitzen die meisten auch im Dunkeln. Mit Ausnahme derjenige, der eine Photovoltaik-Anlage und zusätzlich eine Notstromlösung in Kombination mit einer Batterie installiert hat. Aber auch das ist keine 100-Prozent-Garantie, denn wenn die Batterie leer ist und die Sonne nicht scheint, sitzt auch er im Dunkeln. Man sieht, die Stromausfall-Absicherung ist also sehr komplex – und nicht billig.

Zum Schluss noch: Werden wir in Rapperswil-Jona nächsten Dezember keine Weihnachtsbeleuchtung haben?
Davon ist zum heutigen Zeitpunkt auszugehen. Alle sinnvollen Stromspar-Massnahmen, die wir relativ einfach verschmerzen können, werden wir künftig wohl umsetzen müssen. In diesem Fall hat aber die Stadt Rapperswil-Jona das letzte Wort.

Bruno Hug