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Rapperswil-Jona
28.02.2019

SCHMUTZIGER DONNERSTAG VOR 400 JAHREN

Basil Vollenweider schaut in der Historie zurück und zeigt wie heute vor 400 Jahren die Fasnacht gestaltet wurde.

Heute, am Schmutzigen Donnerstag, der in unserer Gegend auch Schübeldonnerstag genannt wird, ziehen Narren und Guggen durch Jona. Anschliessend trifft man sich zum sogenannten Wurstkranz der gleichnamigen Fastnachtsbruderschaft Jona. Nebst Wurst und Bier werden da auch Büttenreden, Persiflagen und allerlei Schabernack dargeboten; die Essenz der Fastnachtskultur, die vor 400 Jahren nicht viel anders war.

So leitet sich die Bezeichnung Schmutziger Donnerstag vom alemannischen Wort «schmutz» ab, das nichts anderes als «tierisches Fett» bedeutet – wie es sich ja grossteils in den Würsten findet. Aber auch der Alkohol war ein wesentlicher Bestandteil dieser Festkultur. Man wollte nochmals richtig auf den Putz hauen, bevor die Fastnacht am Aschermittwoch zu Grabe getragen wurde und die Fastenzeit «schmutzige Speisen» vom Esstisch verbannte. Nebst Tanz war auch gemeinsames Lachen wichtig. Hier zeigt sich aber, trotz gleicher Essenz, der Unterschied zur Fastnachtskultur von damals. Auch wenn schon vor 400 Jahren mit Vorliebe Behördenmitglieder und andere öffentliche Personen, z.B. geistliche Würdenträger, ins Visier des beissenden Fastnachtsspotts genommen wurden, unterscheidet sich die damalige Fastnachtskultur nicht nur punkto Humor, sondern auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.

Die Fastnacht vor 400 Jahren

Der wichtigste Träger der Rapperswiler Fastnachtskultur war damals die Sauzunft, auch Gesellschaft zur Sau genannt, bei der es sich um einen gesellschaftlichen Zusammenschluss lediger, junger Männer aus der Rapperswiler Bürgerschaft handelte. Diese führten jeweils am Schmutzigen Donnerstag in ihrem Zunfthaus (heute Haus zum Eber in der Marktgasse), dem städtischen Schlachthaus «Zur Suw» ein Gericht durch. Dieses «Malefiz und Strafgericht der loblichen Zunft der ehrenden Gesellschaft der unüberwindlichen Gewalt der Sauleute» tagte «by heller und guoter Tag Zeit». Zuvor fand ein Umzug statt, wobei die Amtsleute der Zunft einen «Schüblig» am Hut trugen.

Die Alterität der vormodernen Gerichts- und Fastnachtskultur

Im Rapperswiler Stadtarchiv zeugen zwei Protokollbände (1612–1776) von der sehr speziellen Tätigkeit dieses Spottgerichts, das aus einer seltsamen Zwischenposition von realer und scheinbarer Sanktionsmacht agierte. Die Einträge handeln fast ausschliesslich von obskuren Anekdoten, phantastischen Erzählungen und derben Zoten. Den heutigen Leser konfrontieren diese Aufzeichnungen ganz unvermittelt mit der Andersartigkeit vormoderner Gerichts- und Fastnachtskultur. Die Delikte spiegeln den männlichen Fastnachtshumor der barocken Epoche wider, der nicht selten unter der Gürtellinie lag.

Beim Saugericht führte im Namen der gesamten Zunft der Knabenschultheiss die Anklage, indes der Ammann oder Knabenhauptmann als Richter fungierte. Der Sauweibel zitierte die Angeklagten vor das Gericht oder zog die vom Richter ausgesprochene Weinstrafe ein. Unter der Oberfläche eines juristischen Formalismus brodelte hier eine Fastnachtskultur, die durch Travestien der obrigkeitlichen Sittenmandate, der gesellschaftlichen Moralvorstellungen, der Geschlechterrollen und der Frömmigkeitspraktiken gekennzeichnet war.

Wasser predigen und Wein trinken

Es wurde gerne die Doppelmoral des Klerus auf die Schippe genommen. So klagte man 1627 den geistlichen Beistand der Zunft folgendermassen an:

«Herr Heinrich Rüestall, Vicarius der Gesellschaft, ist an einer gewissen Zeit im Wirtshaus zum Ochsen gewesen. Als er und der Wirth am Tische nicht mehr zu trinken vermochten, seien beide in die Stube gesessen und dort eingeschlafen. Letztlich sei Herr Vicarius erwachet und habe fälschlich der Magd Unterhemd über den Überrock angezogen und hiernach in die Kirch gegangen. – Gstraft um 2 Köpf Wein».

Aber auch einfache Bürger sowie Hofleute aus Wagen, Jona und Bollingen wurden wegen angeblich unzüchtigen Handelns oder Redens, wegen Aufschneiderei, Wunder- und Aberglaubens, Trunkenheit und sonstigem Unsinn vor das Gericht zitiert wie: «Anthoni Ziegler hat wegen der Kälte nicht erwärmen mögen. Habe er mit seinen Gesellen einen Haufen zusammen scheissen und sich vom Dunst erwärmen wollen.»

Zoten, Zoten und nochmals Zoten

Ein bedeutendes Element des männlichen Fastnachtshumors war die erotische Konnotation, die sprachlich nicht selten in derbster Obszönität daher kam. Einigen Lesern dürften diese Einträge noch heute die Schamesröte ins Gesicht treiben. So wurde Hans Betschert beschuldigt, als er zusammen mit einem Hutmacher in Glarus gewesen sei und am Morgen aufstehen wollte, über den Hutmacher gestanden und, indem er sein Glied hervornahm, gesagt haben soll: «es sige Zit in die Kirchen zu gan» und habe «mit dem Schwanz um das Bein geschlagen, als wenn es eine Glocke wäre» – und das war noch einer der harmlosen. Wem das zu viel ist, der sollte folgende Anklage im Originalwortlaut überspringen: «Baltlj Wetstein beklagt, wie er siner frauw an ein Brüstlj gsogen und so süessi milch versuechet. Do er gredt, er ouch eins brüstlj, dz aber lenger denn syns. Er iren das auch zu versuechen gen well. Wie sy dz wellen versuechen, hat er iren den Zoggel fürpotten, dz sy gredt, sy kein besser milch nie versuecht.».

Doch die Zeiten änderten sich: Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erlahmte das Interesse an der Sauzunft und sie geriet in Vergessenheit.

Basil Vollenweider

Bildlegende:

Oberbild der Wappenscheibe des Knabenhauptmanns Jakob Helbling von 1583. Allegorische Darstellung des Saugerichts: Im Mittelpunkt liegt in einer Reuse eine nackte Frau, die dem Gespött der Sauzünfter ausgeliefert ist.