In einer Medienmitteilung informiert der Kanton St.Gallen ausserdem detailliert über die neusten Berichte und die Folgen.
Was St.Gallen aus dem Adoptions-Skandal gelernt hat
Diesen Donnerstag hat das Bundesamt für Justiz einen Forschungsbericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) publiziert. Er zeigt auf, wie es bis in die 1990er Jahre in der Schweiz zu Adoptionen von Kindern aus Sri Lanka kam. Hinweise auf Kinderhandel und andere unrechtmässige Vorgänge in Sri Lanka wurden seitens der Schweizer Behörden zu wenig beachtet, zum Teil wurden gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen und Begleitungen von Einzelfällen seitens der Behörden nicht durchgeführt. Der Bericht bestätigt die Haltung des Kantons St.Gallen, der Beratung der Betroffenen eine hohe Priorität einzuräumen und zu diesem Zweck die entsprechenden historischen Akten verfügbar zu machen.
Gesetzliche Prüfpflichten nicht eingehalten
Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der behördlichen Praxis des Kantons hat schon ein vom Departement des Innern in Auftrag gegebener Bericht dargelegt, der im Januar 2019 veröffentlicht worden ist. Bereits dieser, in Koordination mit dem Bund erstellte Bericht belegte, dass der Kanton seine Aufsichtsfunktion in Bezug auf die Vermittlungstätigkeiten von Alice Honegger bei grenzüberschreitenden Adoptionen strenger hätte wahrnehmen müssen. Die Behörden prüften die damals aufkommenden Verdachtsfälle und Hinweise zwar, mangels aus damaliger Sicht ausreichender Beweise wurden aber keine dauerhaften Massnahmen gegenüber der Vermittlerin der Stiftung Adoptio verhängt. Bereits im Januar 2019 war klar, dass eine weitere Aufarbeitung nötig ist. Der Bericht des Bundes zeigt nun deutlich weitergehende Verfehlungen der St.Galler Behörden. Für den Bericht wurden 28 Adoptionsdossiers der an den Verfahren beteiligten Behörden untersucht (Vormundschaftsbehörden, Bezirksämter, Vormundschaftsdienst und Amt für Bürgerrecht und Zivilstand) – im Gegensatz dazu wurden im letzten Bericht vor allem die behördlichen Akten zur Vermittlungstätigkeit von Alice Honegger analysiert. Keiner dieser nun umfassend untersuchten Adoptionsentscheide erfüllt gemäss dem jüngsten Bericht die damals geltenden gesetzlichen Anforderungen. So fehlten zum Beispiel die Zustimmung der leiblichen Eltern, Sozialberichte, Arztzeugnisse oder Strafregisterauszüge. In einem Drittel der Fälle wurde während der zweijährigen Pflegezeit keine Vormundschaft errichtet und nach zwei Jahren Pflegeverhältnis erfolgten die Adoptionen in allen Fällen ohne weitere Nachfragen.
Das Departement des Innern begrüsst die ausführliche Studie. Der Bericht und die darin geschilderten Geschehnisse lösen grosse Betroffenheit aus. Gleichzeitig wird die vom Departement des Innern bereits verfolgte Haltung bestätigt, die Geschehnisse aufzuarbeiten und die betroffenen Adoptivkinder heute bei der Ermittlung ihrer Herkunft zu unterstützen. Mit der historischen Aufarbeitung will der Kanton St.Gallen weiterhin einen wichtigen Beitrag an die schweizweite Klärung der damaligen Geschehnisse leisten.
Akten in das Staatsarchiv überführt
In den letzten Wochen hat das Departement des Innern erfolgreich die Ablieferung der Akten der Stiftung Adoptio an das Staatsarchiv erwirkt. Die von der umstrittenen Adoptions-Vermittlerin Alice Honegger ins Leben gerufene Stiftung steht im Mittelpunkt der Vorwürfe. Dem Staatsarchiv des Kantons St.Gallen sind fünf Kisten mit Unterlagen übergeben worden. Dabei geht es um 253 Original-Dossiers mit Klientenakten der Stiftung Adoptio beziehungsweise. deren Vorgängerinstitution «Haus Seewarte». Zwischen 1973 und 1997 sind gemäss heutigen Erkenntnissen 85 Kinder aus Sri Lanka im Kanton St.Gallen adoptiert worden. Viele dieser Kinder waren durch die Vermittlung von Alice Honegger in die Schweiz gekommen. Sie begann ihre Tätigkeit im Jahr 1979 und war im Besitz einer Sonderbewilligung für die zwischenstaatliche Adoptionsvermittlung aus Sri Lanka. Ab 1985 handelte sie im Namen der Stiftung Adoptio, die immer noch besteht, jedoch heute einen anderen Stiftungszweck verfolgt.
Die Verfügbarkeit von historischen Akten ist für die Betroffenen bei der Klärung der Umstände ihrer Adoption zentral. Daher startet das Amt für Soziales nun ein Projekt, das die weitere Zusammenführung von Akten zum Ziel hat. Im Rahmen des Projektes werden nun alle Adoptionen beziehungsweise. Pflegeverhältnisse im Kanton St.Gallen von Kindern aus Sri Lanka im Zeitraum von 1973 bis 1997 genau untersucht. Aus verschiedenen Archiven sollen die Adoptionsakten zusammengetragen werden, um über vollständige Dossiers zu verfügen. Auf diese Weise kann eine Aufarbeitung der damals ausgesprochenen Adoptionen stattfinden. Ausgehend von diesem Datenbestand können auch weiterführende Untersuchungen zu Fallverläufen und eine vertiefte, gesamtheitliche historische Aufarbeitung erfolgen.
Beratung und Unterstützung für Betroffene
Für die Beratung und Unterstützung von Betroffenen bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern ist jener Kanton zuständig, in dem die suchende Person ihren aktuellen zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Im Kanton St.Gallen können sich Betroffene an das Amt für Soziales wenden. Informationen zur Herkunftssuche finden sich unter www.soziales.sg.ch → Familie → Adoption → Suche nach leiblichen Angehörigen. Die Regierung hat dieses An-gebot nun dahingehend gestärkt, dass die Beratungen durchgehend kostenlos sind (bisher wurden die Gebühren jeweils bezogen auf den jeweiligen Einzelfall erlassen).
Das Departement des Innern pflegt zudem einen Austausch mit dem Verein «Back to the Roots». Ziel des Vereins ist es, sich gemeinsam für die Interessen adoptierter Personen aus Sri Lanka in der Schweiz einzusetzen und sich gegenseitig auszutauschen und zu unterstützen. Interessensgemeinschaften wie «Back to the Roots» können in diesem Aufarbeitungsprozess einen wichtigen Beitrag leisten, da sie sehr niederschwellig zugänglich sind. Der Kantonsrat hat dem Verein «Back to the Roots» deshalb für die Aufbauphase im Rahmen der Lotteriefonds-Botschaft von Sommer 2019 einen einmaligen Beitrag von 20’000 Franken gewährt.