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Rapperswil-Jona
15.02.2020
17.02.2020 10:25 Uhr

«Spital schliessen ja, aber nicht unseres ...»

«Unser Gesundheitswesen ist ein äusserst komplexes System, es gibt keine Patentlösung», CEO Peter Werder, Spital Linth,  bei seinen Ausführungen im Kreuz Jona.
«Unser Gesundheitswesen ist ein äusserst komplexes System, es gibt keine Patentlösung», CEO Peter Werder, Spital Linth, bei seinen Ausführungen im Kreuz Jona.
Die Jungfreisinnigen luden ein zum Thema «Unser Gesundheitswesen - wie weiter?» und es kam viel Kompetenz ins Kreuz.

Dr. oec. HSG Monika Engler von der Fachhochschule Graubünden, Regierungsratskandidat Beat Tinner und der neue CEO des Spitals Linth Dr. phil. Peter Werder traten bei der Veranstaltung auf.

Jonathan Meier, Medizininformatiker, begrüsste die Anwesenden und fügte gleich an, dass es auch als interessierter Laie schwierig sei, bei unserem Gesundheitssystem den Durchblick zu gewinnen.

Monika Engler stellte der Schweizer Bevölkerung, basierend auf entsprechenden Studien, ein gutes Gesundheitszeugnis im internationalen Vergleich aus, ebenso den qualitativen Leistungen in der Gesundheitsversorgung. Das alles habe jedoch seinen Preis. Seit 1960 erhöhten sich die Gesundheitsausgaben um den Faktor 40. Dieser Umstand belaste hohe Einkommen mit 7 und tiefe mit bis zu 22% des Bruttoeinkommens. Die privaten Haushalte finanzieren 65%, die Kantone 20% der Kosten, der Rest durch Bund, Gemeinden und Unternehmen.

Es zeichne sich immer mehr die Gefahr einer indirekten weiteren Belastung der Haushalte über die Steuern ab; u.a. getrieben durch Betrieb und Erneuerung von nicht rentablen Spitälern. Allein im Umkreis von 30 km um Rapperswil-Jona befänden sich immer noch 4 Zentrums-, 19 Regionalspitäler und 7 Spezialkliniken. Mit dem vorliegenden kantonalen „4plus5“-Konzept (Konzentration auf die Standorte St. Gallen, Uznach, Grabs und Wil; ergänzt mit Gesundheits- und Notfallzentren in Wattwil, Walenstadt, Altstätten , Rorschach und Flawil) bestehe wenigstens die Chance, das strukturelle jährliche Defizit von rund CHF 70 Mio., gekoppelt mit Effizienzmassnahmen zu beheben und für Steuerzahler und Staat beherrschbar zu machen.

(v.l.n.r.) Jonathan Meier, Regierungsratskandidat und FDP Fraktionschef Beat Tinner, Dr. oec. HSG Monika Engler, FH Graubünden, Dennis Grob und Dr. phil Peter Werder, CEO Spital Linth.

Spitäler im Kanton – gleich weit wie vor 25 Jahren

Das St. Galler Spitalwesen sei selber krank und müsse dringend behandelt werden, führte FDP Fraktionschef Beat Tinner aus. In der Gesundheitsversorgung werde nach wie vor zu kleinräumig gedacht. Der Heimatschutzgedanke sei noch stark verbreitet. Moderne medizinische Qualität könne erst ab einer bestimmten Anzahl Fälle (ca. 7'000 pro Jahr) und mit einer gewissen Spitalgrösse (mind. 100 Betten) gewährleistet werden. Die meisten St.Galler Spitäler sind dafür entschieden zu klein. „4plus5“ betrachtet Tinner als Paket mit regionalpolitischen „Zückerli“ aber keinesfalls als Befreiungsschlag. Denn vier Standorte blieben erhalten, fünf restliche Standorte würden nicht geschlossen, sondern in Gesundheits- und Notfallzentren (GNZ) umgewandelt. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen (Steuergelder bzw. Subventionen) zur Finanzierung dieser Regionalpolitik, rund 10 Mio. jährlich, nähmen weiter zu; weder die Grundprobleme noch die überholte Organisationsstruktur würden korrigiert. Ein zeitgemässer Ansatz wäre das Denken und Handeln in funktionalen Räumen; z.B. mit einer „Gesundheitsregion Säntis“, also eine Lösung unter Einbezug aller Nachbarkantone und Regionen und ohne politische Scheuklappen.

Angeregte Fragerunde zum Schluss; v.l.n.r.: Karen Peier-Ruser, Regierungsratskandidat Beat Tinner, Dr. oec. HSG Monika Engler, FH Graubünden und Dr. phil Peter Werder, CEO Spital Linth.

Das eigene Spital behalten - sich anderswo behandeln lassen

Am Beispiel Affoltern am Albis zeigte der neue CEO des Spitals Linth, Peter Werder, abschliessend das Paradox  bezüglich Spitalschliessungen auf. Dort stimmte dass Volk mit grosser Mehrheit für den Erhalt des eigenen Spitals. Ein Grossteil der dortigen Bevölkerung lässt sich aber in den umliegenden Kliniken behandeln. Distanzverhältnisse sind in der Schweiz nirgends problematisch. Aber sobald man mehr reisen müsse, beginne die Standortdiskussion. Anscheinend vermitteln eigene Spitäler eine Art Geborgenheit. Weiter Entferntes werde mit Unbehagen und mangelnder Qualität in Verbindung gebracht.

Die Diskussion müsse mehr über die Qualität und nicht primär über das Geld geführt werden.

Innovation im Gesundheitswesen führe primär zu mehr Qualität und nicht zu tieferen Kosten. Sie mindert Schmerz und Komplikationen, erhöht Heilungschancen, verlängert die Lebenserwartung. Wer mehr Eingriffe komplexerer Natur durchführt, ist besser darin, was er tut. Das Konzentrieren auf weniger Standorte mache deshalb Sinn. Geografische Nähe jeglicher Versorgung koste viel Geld und werde überbewertet.

Die «Boygroup» der Jungfreisinnigen, Motto «frisch.frech.frei», hat ganze Arbeit geleistet und einen tollen Anlass auf die Beine gestellt.

Eine angeregte Fragerunde unter der Leitung der stellvertretenden Kantonsärztin Karen Peier-Ruser, St. Gallenkappel, beschloss den informativen Abend, welcher eines deutlich aufzeigte: Unser Gesundheitswesen ist ein äusserst komplexes System, es gibt keine Patentlösung. Die Bevölkerung und die Politik beklagen zwar die hohen Kosten, sind aber skeptisch, etwas weiter zu reisen; geschweige denn bereit dazu, qualitative Einbussen in Kauf zu nehmen auch wenn sie dabei sparen könnten.

Marcel Gasser, Rapperswil-Jona