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Kanton
03.04.2025
03.04.2025 06:43 Uhr

Region wirtschaftlich im Offside

Gemäss BAK-Fazit ist St.Gallen zwar eine wohlhabende Region, zeigt aber im Quervergleich ein unterdurchschnittliches Wachstum. Eine neue volkswirtschaftliche Analyse im Auftrag der WISG fordert jetzt Massnahmen.
Gemäss BAK-Fazit ist St.Gallen zwar eine wohlhabende Region, zeigt aber im Quervergleich ein unterdurchschnittliches Wachstum. Eine neue volkswirtschaftliche Analyse im Auftrag der WISG fordert jetzt Massnahmen. Bild: zVg
Trotz Standortattraktivität bei Unternehmenssteuern hinkt die Agglomeration St.Gallen beim Wachstum, bei der Gründungsdynamik und bei der Bevölkerungsentwicklung hinterher.

Die Stadt und Agglomeration St.Gallen gelten als wohlhabend – mit einem hohen Bruttoinlandprodukt pro Kopf und attraktiven Unternehmenssteuern.

Dennoch zeigt eine aktuelle Studie der BAK Economics AG im Auftrag der Wirtschaft Region St.Gallen (WISG): Das wirtschaftliche Wachstum ist schwach, die Produktivität unterdurchschnittlich, und auch bei Firmengründungen und Start-ups belegt die Region nur hintere Plätze.

Die BAK-Studie wurde bereits 2019 einmal durchgeführt. Nun liegen die aktuellen Zahlen vor, die insgesamt ein ähnliches Bild wie damals vor der Pandemie zeichnen.

Nur im hinteren Mittelfeld

Im Vergleich mit ausgewählten Agglomerationen wie Biel, Winterthur, Luzern, Basel, Lugano und Zürich liegt die Agglomeration St.Gallen in mehreren Bereichen im – oft hinteren – Mittelfeld.

Mit Ausnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (BIP pro Kopf) und der Arbeitsproduktivität im Jahr 2023 (nominale Wertschöpfung pro Vollzeit-Arbeitsplatz) mit 160'000 Franken rangiert sie sogar auf dem letzten Platz.

Die vom Wirtschaftsnetzwerk WISG in Auftrag gegebene Studie zur Entwicklung der Agglomeration St.Gallen hat deutliche Defizite offengelegt: schwaches Wirtschaftswachstum, tiefe Produktivität, kaum Dynamik bei Start-ups und ein langsames Bevölkerungswachstum.

Obwohl die Region bei Unternehmenssteuern attraktiv sei, fehle es an Gründungskraft und Entwicklungsimpulsen.

Die Reaktionen aus Wirtschaft und Politik fallen entsprechend deutlich aus:

WISG-Co-Präsidentin Nayla Stössel spricht im «St.Galler Tagblatt» von einem «unbefriedigenden Ergebnis», das gemischte Gefühle auslöse. Insbesondere die unterdurchschnittliche Entwicklung im Start-up-Bereich sei überraschend – gerade weil Stadt und Kanton diesen gezielt fördern würden. Stössel fordert die Schaffung eines Beirats «Standortzukunft St.Gallen», in dem Vertreter von Politik und Wirtschaft gemeinsam Lösungen entwickeln sollen.

Felix Keller, Geschäftsführer des Gewerbeverbands und FDP-Kantonsrat, bezeichnet die Studienergebnisse als «Weckruf». Die Erreichbarkeit – insbesondere für den motorisierten Verkehr in der Agglomeration – sei ungenügend. Die politisch Verantwortlichen der Stadt müssten zusammen mit den umliegenden Gemeinden aktiv Massnahmen einleiten, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Wirtschaft und Gewerbe seien bereit, aktiv mitzuwirken. Die Studie betone, wie wichtig die Erreichbarkeit sei, für die es ein Zusammenspiel von ÖV und MIV brauche.

HEV-Präsident Walter Locher kritisiert die mangelnde Bautätigkeit, hohe Steuerbelastung für Privatpersonen und überbordende Planungsbürokratie. Und: Die Erreichbarkeit mit Auto und öffentlichem Verkehr müsse unbedingt verbessert werden. Die Stadtregierung zeige zu wenig Innovationskraft, Entwicklungsgebiete wie Ruckhalde oder St.Fiden würden vernachlässigt. Auch Locher fordert bessere Rahmenbedingungen, insbesondere bei der Mobilität und der Baulandpolitik.

Wachstum ja, aber unterdurchschnittlich

Präsentation und Studie zeigen insgesamt, dass sich in den fünf Jahren seit der letzten Erhebung wenig verändert hat.

Zwar sind auch in der Agglomeration (und in der Stadt) St.Gallen die reale Wertschöpfung, die Anzahl der Arbeitsplätze und die Bevölkerungszahl in den letzten zehn Jahren gewachsen, aber deutlich weniger als in den Vergleichsregionen.

Bei der Beschäftigtenzahl bzw. deren Wachstum von 2013 bis 2023 befindet sich die Agglomeration St.Gallen sogar am Ende der Tabelle.

Der grösste Teil der Wertschöpfung stammt aus den «klassischen» Branchen im Dienstleistungsbereich – Handel, Finanzsektor, unternehmensbezogene Dienstleistungen.

Im Vergleich zur restlichen Schweiz ist der Pflege- und Gesundheitssektor zwar grösser, doch das Wachstum in diesem Bereich war in den vergangenen fünf Jahren moderater als zuvor.

Nimmt man alle Komponenten des Wirtschaftswachstums seit 2013 zusammen – reale Wertschöpfung, Arbeitsplatzquote, reale Arbeitsproduktivität und Bevölkerungszahl –, dann liegt einzig Biel hinter der Agglomeration St.Gallen.

Vorbildlich sind Basel und Zürich

Am besten performt hier Basel mit über vier Prozent Wachstum der Bruttowertschöpfung, vor Zürich mit rund 2,2 Prozent. Immerhin liegt die Standortattraktivität der Region St.Gallen gemäss BAK Economics zwar unter, aber nahe dem Mittel der Vergleichsregionen.

Ein deutlich positiver Faktor ist die Unternehmensbesteuerung, während die Steuerbelastung für natürliche Personen in der Stadt einen negativen Einfluss hat.

Stadtpräsidentin Maria Pappa erkennt in der Studie sowohl Stärken als auch Schwächen der Wirtschaftsregion St.Gallen. Sie betont gegenüber dem «St.Galler Tagblatt», dass eine solide Wachstumsperspektive vorhanden sei und dass St.Gallen im internationalen wie im nationalen Steuerwettbewerb sehr gut positioniert sei. Dennoch stimme es nachdenklich, dass sich die Agglomeration unterdurchschnittlich entwickle.

Pappa weist darauf hin, dass die Attraktivität eines Standorts das Zusammenspiel vieler Faktoren erfordere – von der Mobilität über die Planung bis hin zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen sei jedoch ressourcenintensiv, und hier stosse die Stadt mit ihren finanziellen Mitteln zunehmend an Grenzen.

St.Gallen erfülle seine Rolle als Wirtschaftsmotor der Region gerne, brauche dafür aber eine faire Verteilung der Lasten. Pappa betont die Bedeutung der Kooperation mit dem Kanton, den Nachbargemeinden und den Wirtschaftsverbänden, um gemeinsam eine positive Entwicklung für die gesamte Wirtschaftsregion zu ermöglichen.

Potenzial ist vorhanden, Handlungsbedarf auch

Gemäss BAK-Fazit ist St.Gallen zwar eine wohlhabende Region, zeigt aber im Quervergleich ein unterdurchschnittliches Wachstum. Die ausgewogene Branchendiversität fördert die wirtschaftliche Robustheit, und dank den Schlüsselbranchen Gesundheit, Versicherungen und Pharma gibt es eine solide Wachstumsperspektive.

Marktanteile verloren hat hingegen die IT-Branche. Auch die Anzahl Gründungen von Start-ups ist pro Kopf und bezogen auf die vorhandenen Arbeitsplätze im Vergleich nur in Biel tiefer.

Dies steht im Kontrast zum Eindruck vieler Wirtschaftsakteure, dass in St.Gallen viel für die Start-up-Szene getan wird. Den Gründen dafür ist nachzugehen, zumal die Voraussetzungen mit Universität und Fachhochschule hier eigentlich sehr gut sind.

Im Steuerwettbewerb hat die Agglomeration bei den Unternehmenssteuern national und international eine gute Position, aber die Besteuerung natürlicher Personen bremst die demografische Dynamik.

Ebenso bleibt beim Thema Standortattraktivität die Erreichbarkeit verbesserungsfähig – umso mehr, als mit der Autobahn-Abstimmung auch in St.Gallen Projekte nicht oder nur sehr verzögert möglich werden. Was die Agglomeration angeht, so ist auch der öffentliche Verkehr in die umliegenden Gemeinden nicht auf Topniveau.

Die Studie von BAK Economics Basel finden Sie hier.

stgallen24/stz./Linth24