Herbert Oberholzer schreibt:
«Am 23. Dezember 2024 gegen Abend kamen wir vom Bahnhof Rapperswil zur Rathausstrasse. Beim Büro Klotz sass ein junger schlotternder Mann in roter Windjacke im Nieselregen auf dem Boden. Wir legten ihm ein Nötli hin und etwas Kleingeld. Dann nahmen meine Partnerin und ich verschiedene Wege. Beide hatten wir kurz danach ein schlechtes Gewissen, dass unsere Gabe vor Weihnachten so mickrig war. Beide kehrten wir – unabhängig voneinander – etwas grosszügiger zurück. Meine Partnerin noch mit Essen und warmen Handschuhen. Als sie bei ihm ankam, standen 2 junge Polizistinnen dort, neben ihnen das Polizeiauto mit bedrohlich hochgeklappter Hecktüre und warnten den Mann, das Betteln sei im Kanton St. Gallen verboten.
Minimale Herzensbildung
Meine Partnerin beteuerte, dass dieser Mann gar nicht gebettelt hatte. Sie reichte dem so genannten Bettler trotzdem den Plastiksack und ging weiter. Eigentlich müsste jeder anständige Mensch, ob in Uniform oder nicht, sehen, dass der Mann Hilfe brauchte. Um Solches zu sehen, braucht es eine minimale Herzensbildung, die man an keiner Universität vermittelt bekommt.
Nicht an der Polizeischule
Offenbar auch nicht in der Polizeischule. Napoleon sagte, es gebe keine schlechten Soldaten, es gebe nur schlechte Offiziere. Aber ein bisschen Denken hätte auch den 2 Soldatinnen gut getan. Kein Platz in der Herberge wie vor 2000 Jahren! Kein Platz an der Rathausstrasse!
Und dies am Vortag des Heiligabend. Haben die Damen schon mal etwas von der Gassenweihnacht an der Langstrasse gehört? Wissen sie nicht, dass Armut viele Gesichter hat – z.B. ein frierender, am Boden kauernder Mann beim Hauptplatz?»