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17.07.2024
18.07.2024 07:38 Uhr

Die Sterbekapsel hoch umstritten

«Den modernen Hyperindividualismus auf die Spitze getrieben»: Der Ethiker und Theologe Markus Zimmermann hält nichts von der Suizid-Kapsel.
«Den modernen Hyperindividualismus auf die Spitze getrieben»: Der Ethiker und Theologe Markus Zimmermann hält nichts von der Suizid-Kapsel. Bild: PD
Die Organisation «The Last Resort» will mit der neuartigen Suizidkapsel «Sarco» in der Schweiz Sterbehilfe leisten. Nun äussert sich Ludwig A. Minelli, Rechtsanwalt und Gründer des Vereins Dignitas, zur Methode.

Kürzlich hiess es in einem Medienbericht, dass eine Person im Wallis diese Woche mithilfe der Suizidkapsel von «Last Resort» aus dem Leben scheiden werde. Doch der Walliser Kantonsarzt legte sein Veto ein. Auch die Schaffhauser Staatsanwaltschaft äusserte bereits Bedenken.

Doch wie funktioniert die Kapsel? Sie wurde vom australischen Arzt und Sterbehilfeaktivisten Philip Nitschke entwickelt und soll ein schmerzloses Sterben durch die Selbstverabreichung von Stickstoff ermöglichen. Aufgrund ihrer futuristischen Form wird Sarco auch als «Tesla der Sterbehilfe» bezeichnet.

Das Sterben werde banalisiert

Die NZZ hatte berichtet, dass die erste Person weltweit, die die Sarco-Sterbekapsel nutzen möchte, sich bereits in der Schweiz befinde. Philip Nitschke plane noch diese Woche «den grossen PR-Stunt»: Die sterbewillige Person werde im Sarco mit Blick aufs Matterhorn aus dem Leben scheiden. Der stellvertretende Walliser Kantonsarzt Cédric Dessimoz erklärte am Montag dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS, die Gesundheitsbehörden seien wegen der Medienberichte aktiv geworden.

Dessimoz sagte, das Verbot sei eine vorsorgliche Massnahme. Der im Sarco verwendete Stickstoff sei zwar grundsätzlich frei erhältlich, gelte aber bei dieser Verwendung als Medikament. Für diesen Zweck müsste das Gas von den Behörden separat zugelassen werden.

Ethiker kritisieren das Verfahren vor allem aus einem Grund: Der Moment des Sterbens werde banalisiert und trivialisiert. Markus Zimmermann, Theologieprofessor an der Universität Freiburg, sagt gegenüber der NZZ: «So zu gehen, abgekapselt von der Umwelt, von den Mitmenschen, ist eine sehr unmenschliche Art des Sterbens. Der moderne Hyperindividualismus wird sozusagen auf die Spitze getrieben».

Sterbehilfe darf nicht kommerziell sein

Ludwig A. Minelli, Gründer des Vereins Dignitas – menschenwürdig leben – menschenwürdig sterben, meint dazu: «Es gibt mehrere Aspekte. Wenn jemand mit der Sterbehilfe Geld verdienen will, macht er sich strafbar». Der Rechtsanwalt spricht aus eigener Erfahrung: 2018 musste er sich vor Gericht verteidigen, weil er den Betrag von 10‘000 Franken für die Suizidbegleitung verlangt hatte – und erhielt Recht. Der Richter befand, dass «keine selbstsüchtigen Motive vorlägen».

Der zweite Punkt betrifft den möglichen Verstoss gegen das Medizinprodukterecht. Hier kommt Minelli zum Schluss: «Nein, das ist höchstwahrscheinlich nicht so, weil weder Lindern noch Heilen beabsichtigt werden.»

Klare Grenzen bei Urteilsfähigkeit

Bleibt der Punkt der Urteilsfähigkeit des Kunden. Das Recht zieht hier klare Grenzen, so Minelli: «Kinder oder Menschen, bei welchen eine geistige Behinderung oder Störung  sich auf die Urteilsfähigkeit negativ auswirkt oder die sich im Rausch oder einem ähnlichen Zustand befinden, dürfen nie in den Tod begleitet werden. Deshalb arbeiten Schweizer Selbstbestimmungsorganisationen immer mit zwei Ärzten zusammen.»

Bewusstseinsverlust nach drei bis fünf Atemzügen

Die Methode an sich erachtet Minelli aber als unbedenklich: «Der Tod tritt ohne vorheriges Erstickungsgefühl ein, da der Mensch CO2 frei ausatmen kann. In einer sauerstofffreien Atmosphäre verliert ein Mensch nach drei bis fünf Atemzügen das Bewusstsein».

Thomas Renggli