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Kultur
04.08.2019
06.08.2019 23:45 Uhr

RJ: Toiletten Storys in der Alten Fabrik

Die Toiletten stehen im Zentrum des Interesses der Ausstellung vom 24. August bis 13. Oktober 2019 in der Alten Fabrik mit Werken diverses Künstler.

Die Toilette ist ein stilles Örtchen im eigentlichen Sinn, denn der Gang aufs WC ist ein Tabu. Das war nicht immer so, im 17. Jahrhundert erledigte Louis XIV sein Geschäft noch in Anwesenheit von Besuch. Als vielschichtige kulturelle Form ist die Toilette geprägt von gesellschaftlichem Wandel und reich an psychologischen Dimensionen.

Anhand von Kunstwerken und kulturgeschichtlichem Material gehen wir der Toilette in der Ausstellung Spot on. Toilettengeschichten auf den Grund. Die Alte Fabrik ist der ideale Ort dafür: Sie wurde 1917/1918 im Auftrag von Albert Emil Gebert erbaut und legte vor gut hundert Jahren den Grundstein für den heute weltweit tätigen Sanitärtechnikkonzern Geberit AG. Somit sind wir an der Quelle, um über die Toilette, Abwassertechnik und das Verhältnis des Menschen zu seinen körperlichen Ausscheidungen nachzudenken.

In der Ausstellung Spot on wird die Toilette als Schnittstelle zwischen dem Innen und dem Aussen verstanden: Sie bringt das Innere des Menschen – seine Biologie und Psyche – in Kontakt mit dem ihm Äusseren, seiner Umgebung, der sichtbaren Architektur. Auch baulich stehen Toiletten an einer Schnittstelle, sind sie doch über ein unsichtbares Abwassersystem mit dem verborgenen Inneren der Gebäude, mit dem Untergrund, dem Unsichtbaren verbunden. In der Toilette verzahnen sich Psychologie, Medizin, Soziologie, Architektur, Design und Technik.

Spot on geht der Toilette mit Werken von zahlreichen Künstlern, einer Intervention von Jérôme Nager, Timéa Schmidt und Roberto Zancan / Architecture d’intérieur HEADGenève und ausgesuchtem kulturgeschichtlichem Material auf den Grund.

Julie Verhoeven, Now wash your hands, 2016, Videostill, Courtesy the artist.

Die Toilette steht in der Ausstellung «Spot on» als Metapher und Schnittstelle für das Innen und Aussen, das Sichtbare und das Unsichtbare: Was gerade noch unsichtbarer Teil des Menschen war, wird als sichtbare Ausscheidung in der Toilettenschüssel zu etwas ekelbesetztem, um sofort in Abwasserrohren und der Kanalisation zu verschwinden.

Diese Un-/Sichtbarkeiten rund um die Toilette werden in der Ausstellung auf gesellschaftlicher und psychologischer Ebene erkundet. Im Zentrum von «Spot on» stehen das Design von privaten und öffentlichen Toiletten, toilettenbezogene Produktwerbung, Verhalten und Aktivitäten in und auf der Toilette, Blicke und Blickrichtungen an diesem schambesetzten Ort, Hygiene und Hygienevorstellungen, die Tabuisierung des Gangs aufs WC und ihre Gründe, Genderfragen, sowie Abwassersysteme und ihre Verwandtschaft zur menschlichen Verdauung.

Sinnbildlich für die Leitmotive «Innen vs Aussen« und «Sichtbar vs Unsichtbar» stehen die Arbeiten Toilet Paper (2019) von Daniel Eatock und Cap (2016), ein gehäkeltes WC-Rollen Hütchen von Andreas Slominski, sowie The Old In Out (1998) von Sarah Lucas. In Lucas‘ Werk wird die Toilette als potentiell ekelauslösendes Objekt zu einer anziehenden, transparenten und urinfarbigen Skulptur, gegossen aus Polyurethan.

The Old In Out erinnert an die berühmteste Toilette der Kunstgeschichte, das Readymade Fountain aus dem Jahr 1917. Das Urinal, ein geschlechtlich besetztes und tabuisiertes Objekt, wurde im selben Jahr nicht zur eigentlich unjurierten Ausstellung der Society of Independent Artists zugelassen.

Heute wird diskutiert, ob das Readymade tatsächlich von Marcel Duchamp eingereicht wurde, oder nicht viel eher von einer Frau, der DadaKünstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven. Um dieser Frage zu begegnen, wurden für «Spot on» zehn Künstlerinnen eingeladen, eine Hommage an Fountain von Elsa von FreytagLoringhoven zu realisieren – als Antwort auf die zahlreichen Hommagen, die sich auf Duchamps Fountain beziehen.

Die Alte Fabrik ist fast genauso alt wie Fountain: die erste Produktionsstätte des heute weltweit tätigen Konzerns Geberit AG feiert  ihr 101-jähriges Jubiläum, das Anlass zu dieser Ausstellung gibt. Hier wurden vor allem Spülkästen mit Bleiausschlag und Innengarnituren aus Messing und Blei hergestellt, die eine zuverlässige Spülung gewährleisteten.

Parallel mit der Entwicklung des Toilettensystems festigte sich, was mit der Modernisierung begonnen hatte: Die Toilette wurde im Zivilisationsprozess zu etwas angstbesetztem, obwohl Toiletten objektiv sauberer wurden. Und der Gang zur Toilette wurde zunehmend tabuisiert.

Anhand der Toilette lassen sich Modernisierungstheorien als Fortschrittstheorien hinterfragen: Bereits 3000 v. Chr. gab es Aborte mit Wasserspülung, im römischen Reich gar mit Fussbodenheizung und Marmorsitzen ausgestattete Latrinen. Im Mittelalter hingegen entsorgte man die Notdurft bekanntermassen in den Gassen.

Offensichtlich unterliegen Toiletten einem gesellschaftlichen Wandel. So erstaunt es nicht, dass die umfangreiche Studie The Bathroom (1966) von Alexander Kira zum Design von Toiletten und Badezimmern in einer Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs publiziert wurde. Kira konstatierte, dass das Design von westlichen Toiletten den anatomischen Bedürfnissen des Menschen nicht entspricht und wollte dieses nicht weniger als revolutionieren – ohne Erfolg, denn es ist bis heute weitgehend gleichgeblieben.

Sechs Jahre später machte sich auch eine Gruppe Fluxus-Künstler Gedanken über alternatives Toilettendesign (Fluxtoilets, 1972). Anhand einer Collage aus Produktwerbungen von Geberit AG ab ca. 1920 wird gezeigt, mit welchen Argumenten in den letzten hundert Jahren Toiletten und Toilettentechnik an den Mann und (seltener) die Frau gebracht wurden.

Où sont les toilettes s’îl vous plaît? (2018), fragt eine Neon-Leuchtschrift von Bethan Huws. Der Bereich der öffentlichen Toilette und das Verhalten auf der Toilette wird in Arbeiten von Julie Verhoeven, Jaanus Samma, Florian Bühler, Johana Blanc und Steven Pippin thematisiert.

In öffentlichen Toiletten stellt sich die Frage der Hygiene, der Geschlechterbeziehungen und des Designs verstärkt. Mit viel Humor und einer zeitgenössischen Bildsprache begegnet Julie Verhoeven diversen Toiletten-Tabus in ihrem Video Now wash your hands (2016): Periode, Sex, Ausscheidungen, Drogen oder Gerüche. Mit Hilfe der Figur des Toilet Attendants werden Genderfragen, die Auseinandersetzung mit sich selbst und den Anderen, Hygiene und Ekel befragt. Das Readymade Divider (2017) von Jaanus Samma ergänzt diese vielfältige Palette und rückt den Blick in der Sphäre des Pissoirs und damit verbundene Unsicherheiten ins Zentrum.

Zu guter Letzt wagen wir mit zwei Arbeiten ein Gleichnis zwischen dem Inneren des Körpers und dem Inneren der Architektur:
Jan Sebestas Arbeit slepenec (2019) lädt dazu ein, eines der vier gelben Rohrteile am Körper mit sich herum zu tragen. In diese Teile soll und darf man greifen, um einen Lautsprecher zu aktivieren, der Verdauungsgeräusche von sich gibt. Hier wird die Nähe von Infrastruktur und Körper nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar.
Schliesslich kann man sich von Fischli / Weiss‘ Kanalvideo (1992) auf eine hypnotische Reise durch die Gedärme der Stadt Zürich entführen lassen…

OM, www.altefabrik.ch