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17.12.2023

Blutige Erfahrungen mit dem Wolf

Betroffenheit bei der Medienveranstaltung Wolf; erstmals erzählen Älpler hautnah
Betroffenheit bei der Medienveranstaltung Wolf; erstmals erzählen Älpler hautnah Bild: zvg/Barbara Bäuerle-Rhyner
Von den einen respektiert und geschützt, von den anderen gehasst und gejagt. Der Wolf beschäftigt viele Menschen. Nun reden direkt Betroffene. ACHTUNG: Der Beitrag enthält ein erschütterndes Bild.

Der Wolf treibt viele um. Nun sprechen erstmals Älplerinnen und Älpler: Die Fachkommission Grossraubtiere des Kantons Glarus wählte bewusst einen etwas anderen Rückblick und um den nicht greifbaren Fakten der Wolfsthematik Platz zu geben. Dazu luden sie kürzlich Medienverantwortliche und rund ein Dutzend weitere Gäste nach Elm ein.

Erstmals traten die direkt Betroffenen in die Öffentlichkeit mit teils erschütternden Berichten. «In der Nacht als ich bei den Schafen geschlafen habe, fand ich am Morgen rund fünfzig Meter neben meinen Schlafsack zwei getötete Lämmer», vergisst Lukas Marti diese Nacht im Sommer 2023 nicht. Obwohl er anwesend, wachsam und bei Geräuschen auf den Beinen war, konnte der Angriff nicht abgewendet werden.

Älpler ob Mühlehorn

Er ist Älpler auf der Mürtschenalp ob Mühlehorn – eine der grössten Alpen im Kanton Glarus, die heuer letztmals Schafe sömmerte. «Wir haben uns entschieden die Schafalpung aufzugeben» so Marti, der nebst dem enormen zusätzlichen Arbeitsaufwand auf keinerlei Unterstützung der Wildhut zählen konnte und gar eine Anzeige erhielt, da sich die Schafe ausserhalb des Weideperimeters aufgehalten haben sollen.

Hilflos zusehen, wie Tiere qualvoll verenden

Die Älplerin und zweifache Mutter Michelle Elmer erzählte von dem Morgen im August als sie auf der Alp Camperdun in Elm ein Rind mit Kratzspuren in ihrer Herde antraf. Sie erläuterte hautnah wie sie tags darauf die abends beim Stall eingezäunten Rinder nicht mehr auffand und bis weit hinauf zum verschneiten Grat nach ihnen suchte. «Mir fehlte immer noch Rahel. Sie gehörte demselben Bauern wie Arve die wir tags zuvor wegen ihren - wie sich heraus stellte sehr schweren - Verletzungen heimbrachten», beim Beschrieb wie sie Rahel im Loch halb aufgefressen fand bricht sie in Tränen aus.

Scham

«Als ich den Besitzer sah, schämte ich mich. Niemand macht mir Vorwürfe aber es fühlte sich dennoch an als hätte ich versagt weil ich die Tiere nicht schützen konnte» ringt Michelle um Fassung. Kein Flugwetter, keine schnelle Rettung für die weiteren verletzten Tiere, zudem der Zugangsweg verschüttet, die restlichen Rinder im Schnee und Diskussionen, Gespräche, Abklärungen, verzögerte Anrufe wegen empfangslosem Gebiet…

Zahlreiche Kadaver

Michelle fühlte sich erst nach der Alpabfahrt etwas besser. Bis zum Morgen des 15. Oktobers, als ihre älteste Alpakadame früh morgens unverhofft vor dem Haus mitten im Dorf Elm stand. «Ich nahm Havannah ans Seil und lief mit ihr zur Weide zurück», erinnert sie sich an die schrecklichen Bilder zahlreicher Kadaver die sie erst viel später, als es Tag wurde, klar erkennen konnte. «Die Überlebenden starrten zum Wald hinauf und an mir huschte etwas vorbei» ging die Bestandesaufnahme im Schock später weiter. Später heisst; nachdem die Kinder im Alter von neun und zwölf Jahren mit der Information, dass einige ihrer selbst aufgezogenen Alpakas gefressen wurden, in die Schule geschickt wurden.

«Ich musste zusehen, wie es starb»

«Ich hole die Garrette», sagte meine Tochter Ella als ein Junghengst zwei Tage nach dem Angriff nicht mehr aufstehen konnte. Beim Aufheben des Tieres entdeckten Elmers das Eiter, das aus seiner Wolle lief – sofortige Behandlung der zuvor nicht erkennbaren Bisswunde und der Versuch eine Sepsis zu verhindern führten zu einer weiteren schlaflosen Nacht. «Am anderen Morgen war das Jungtier qualvoll am Verenden, ich musste zusehen wie es starb und konnte nicht helfen», gesteht Michelle erneut unter Tränen.

«Am anderen Morgen war das Jungtier qualvoll am Verenden.» Bild: zvg/Barbara Bäuerle-Rhyner
Barbara Bäuerle-Rhyner, Elm