Vor 88 Jahren, am 26. Juli 1931, änderten die damaligen «Ernsten Bibelforscher» ihren Namen in «Zeugen Jehovas». Die Idee zu diesem Namen hatte der zweite Präsident der Wachtturm-Gesellschaft, Joseph Rutherford. Nach dem Tod von Charles Russel, der die Bewegung der Bibelforscher ins Leben gerufen und die Wachtturm-Gesellschaft als Verlag gegründet hatte, übernahm Rutherford die Leitung und verwandelte die damalige lose Gemeinschaft in eine straffe Organisation, die fortan von immer strengeren und problematischen Regeln geprägt wurde.
Kontaktverbot zu ehemaligen Mitgliedern
Eine dieser Regeln wurde von Rutherfords Nachfolger, Nathan Knorr, in den 1960er Jahren eingeführt: Das Kontaktverbot zu ehemaligen Mitgliedern, das auch nicht vor Familienmitgliedern Halt macht, die die Organisation verlassen haben oder ausgeschlossen wurden.
Aufgrund dieser Regel werden seit Jahrzehnten Familien auseinandergerissen und zerstört: Eltern, die nicht mehr mit ihren erwachsenen Kindern sprechen. Söhne und Töchter, die keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern wünschen. Grosseltern, die ihre Enkel nicht mehr grüssen, wenn sie sie auf der Strasse antreffen.
Eine «liebevolle Vorkehrung» mit fatalen Folgen
Die Zeugen Jehovas behaupten, dies sei eine «liebevolle Vorkehrung», damit der «Sünder» sich seiner Missetaten bewusst werde, bereue und wieder zurückkehre. Ehemalige empfinden dies jedoch als «Erpressung»: Einerseits hindert diese unmenschliche Regel viele Austrittswillige daran, die Organisation zu verlassen, da sie ihr einziges soziales Umfeld nicht verlieren wollen; andererseits zwingt die Regel Ausgetretene zur Rückkehr, falls sie den Kontakt zu ihren Lieben wiederherstellen möchten.
Diese Praxis trieb gemäss Erfahrungsberichten auf Facebook und anderen sozialen Medien schon viele Menschen in Verzweiflung, Depression und sogar in den Suizid. Denn wie im antiken Griechenland beim so genannten Scherbengericht verurteilen die Zeugen Jehovas ehemalige Mitglieder zum «sozialen Tod». In der Sozialpsychologie nennt man dieses Phänomen deshalb «Ostrazismus»; abgeleitet vom altgriechischen «Ostrakon» für «Tonscherbe».
Gedenktag und Aktionen für die Opfer der unerbittlichen Praxis
Am Wachtturm-Opfer-Gedenktag, dem 26. Juli, machen ehemalige Zeugen Jehovas mit besonderen Aktionen auf diesen Missstand aufmerksam, von dem die Öffentlichkeit in der Regel nichts weiss:
Es gibt in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft eine religiöse Organisation, die ihre Mitglieder dazu nötigt, jeglichen Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern abzubrechen. Dies erreichen die Zeugen Jehovas unter anderem, indem sie den verbliebenen Mitgliedern drohen, bei Nicht-Befolgen dieser Regel ebenfalls aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und dann selbst von Familie, Freunden und Bekannten aus deren Leben gelöscht zu werden.