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01.08.2023
01.08.2023 07:36 Uhr

Büsi-Elend immer schlimmer

Immer häufiger muss die Tierschutzorganisation NetAP verwilderte Katzen und Kätzchen in besorgniserregendem Zustand einfangen.
Immer häufiger muss die Tierschutzorganisation NetAP verwilderte Katzen und Kätzchen in besorgniserregendem Zustand einfangen. Bild: NetAP
Das Schweizer Katzenelend erlebt einen neuen Höhepunkt: Es gebe keine Plätze mehr für Katzenfamilien in Not, so Tierschützer. Können sie keine Hilfe anbieten, drohe oft die Tötung.

Baustellen, Kellerräume, Estriche, Gartenhäuser, Scheunen, Holzbeigen in Wäldern, Heustöcke, Industriedächer – kaum ein Ort, an dem die Tierschutzorganisation NetAP nicht schon Katzenmütter mit Babys hat einfangen müssen.

Doch während in den Jahren zuvor im Notfall immer noch irgendwo ein Platz für die Tiere gefunden werden konnte, sieht es in diesem Jahr ganz anders aus. «Wir haben über 100 Tierheime und Tierschutzorganisationen angefragt, ob sie noch Platz für wilde Katzenmütter mit Nachwuchs hätten, doch leider gab es nur Absagen», erklärt Esther Geisser, Präsidentin der Tierschutzorganisation NetAP.

«Wissen nicht mehr, wohin mit all den Tieren»

NetAP ist die einzige Organisation in der Schweiz, die mittlerweile fast in allen Kantonen direkt an der Front im Einsatz ist und täglich aktiv gegen das Katzenelend vorgeht. Meldungen über Katzenmütter, die irgendwo Nachwuchs bekommen haben und verschwinden sollen, gehen bei NetAP praktisch täglich ein. Doch inzwischen können keine neuen Fälle mehr angenommen werden. «Wir wissen wirklich nicht mehr, wohin mit all den Tieren», so Geisser.

Neben den fehlenden Plätzen kommt dazu, dass verwilderte Katzenmütter nicht ganz einfach im Handling seien und aus diesem Grund nicht irgendjemandem anvertraut werden könnten. Die Räumlichkeiten müssen ausbruchsicher sein. Selbst katzenerfahrene Menschen würden solche Katzenmütter oft unterschätzen. «Einmal kurz lüften und weg ist sie», erklärt Geisser. Sie würden sich zwar rasch an die Situation gewöhnen und seien sehr gute Mütter, aber trotzdem trauen sie den Menschen nicht und ergreifen bei der erstbesten Gelegenheit gerne die Flucht, wenn man ihnen diese ermöglicht.

NetAP hätte in diesem Sommer bereits ein Dutzend Mal für Dritte ausrücken müssen, weil verwilderte Katzen aus Pflegestellen geflohen seien. In zwei Fällen sind die Tiere sogar aus dem zweiten Stock gesprungen. Sie wieder einzufangen, kostet sehr viel Zeit und ist nicht immer von Erfolg gekrönt. Deshalb ist NetAP darauf angewiesen, Katzenfamilien in erfahrene Hände geben zu können, wo man mit den speziellen Bedürfnissen der Tiere umgehen kann.

Keine Pflegeplätze – dafür Drohungen bei Nichtmitnahme

Sind die Katzenkinder alt genug, kann die Mutter in der Regel kastriert zurück in ihr Revier, sofern das möglich ist, oder es wird ein Platz auf einem Landwirtschaftsbetrieb oder Reiterhof gesucht, falls es einen solchen noch gibt. Die regelmässigen Aufrufe von NetAP zur Meldung solcher Plätze lösten leider auch von Seiten der Bauernverbände keinen wirklichen positiven Rücklauf aus.

Aus Sicht der Tierschutzes könnte eine Kastrationspflicht einen Teil des Katzenelends verhindern. Bild: Net

Dass es keine Plätze mehr gibt, ist für die Einsatzkräfte von NetAP sehr belastend. Sowohl Landwirte als auch Privatleute erklären regelmässig deutlich, für eine definitive Lösung zu sorgen, würden die Tiere nicht umgehend abgeholt. «Dann sterben sie eben an einer Bleivergiftung» oder «Der Hofhund regelt das mit den Katzenbabys» sind zum Beispiel Aussagen, die die Tierschützer zu hören kriegen.

Aber es sind nicht nur verwilderte Katzenfamilien, die Hilfe benötigen. In der NetAP-Zentrale häufen sich auch die Anrufe bezüglich Abgabetiere. «Jeden Tag will irgendjemand seine Katze oder auch ein anderes Tier loswerden», so Geisser. Die erklärten Gründe seien vielfältig, oft werde eine angebliche Allergie oder ein Umzug vorgeschoben. Geisser geht davon aus, dass ein Grossteil dieser Tiere während der Pandemie angeschafft wurde und nun zur Belastung werden. Auch für Abgabetiere hat es kaum mehr Platz. Geisser ist sich sicher, dass wieder vermehrt Tiere ausgesetzt werden, und leider oft unkastriert, weil man sie schnell loswerden oder diese Kosten sparen will. Auch Tierquälereien haben zugenommen.

Das Aussetzen und/oder Quälen von Tieren ist zwar eine Straftat. Man findet die Täter allerdings selten. «Wenn ein Täter gefunden wird, kann er mit einer milden Strafe rechnen, denn bei Tierschutzdelikten haben wir in der Schweiz eine Kuscheljustiz», klagt die Juristin Geisser.

Von Behörden und Politikern kaum Hilfe zu erwarten

Von Behörden oder Politikerseite können die Tierschützer keine Hilfe erwarten. Seit das Parlament die deutliche Forderung nach einer Kastrationspflicht diskussionslos abgelehnt hat, hört man von Bundesbern nichts mehr. In einer Stellungnahme vom September 2022 schrieb das Bundesamt für Landwirtschaft und Veterinärwesen BLV, dass Vorschriften zur Kastration von Katzen neben den Tierschutzanliegen auch die Anliegen der Katzenhalterinnen und Katzenhalter sowie der Vollzugsbehörden berücksichtigen müssen, und betonte, dass keine weiteren Auskünfte mehr erteilt würden. Seither ist nichts mehr in Bern passiert. Das Leiden der Tiere geht aber ungehindert weiter.

«Die Behörden machen es sich sehr leicht», meint Geisser. «Regelmässig werden wir – auch von amtlicher Seite – gebeten, Katzenkolonien auf Höfen oder an anderen kritischen Orten zu kastrieren. Neue Regeln werden aber nicht eingeführt. Staatliche Gelder gibt es auch keine. Meldungen über vernachlässigte Katzen, werden zwar zur Kenntnis genommen, unternommen wird aber kaum etwas.» Zumindest registriert die Tierschutzorganisation in vielen Kantonen kein Handeln seitens der Behörden. «Wir haben auf verschiedenen Höfen Katzen in besorgniserregendem Zustand eingefangen», erzählt die Tierschützerin. Den zuständigen Veterinärämtern seien diese Höfe nach eigener Aussage bereits bekannt. «Da stellt sich mir die Frage, in welchem Zustand die Tiere denn sein müssen, damit ein Veterinäramt überhaupt handelt.»

Schweizer Katzenelend bald wie in Süd- und Osteuropa

So kann es nicht weitergehen, davon ist Geisser überzeugt. Immer mehr Tierschützer würden das Handtuch werfen, weil die Belastung zu gross werde. «Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Katzenelend in der Schweiz ist eine Schande für unser Land», betont auch Tierarzt Enrico Clavadetscher. In seiner Rolle als medizinischer Leiter von NetAP sieht er viel zu viel Leid. Ohne eine Kastrationspflicht würden viele Halter das Elend ausblenden und weiterhin für noch mehr Katzen sorgen. «Aufklärung allein fruchtet bei vielen Haltern nicht. Ein Gesetz muss her, sonst haben wir bald Zustände wie in Süd- und Osteuropa», ist er überzeugt.

Die Einsatzorte von NetAP in der Schweiz sind unter diesem Link zu finden. Auch im Linthgebiet gab es Einsätze.

NetAP – Network for Animal Protection / Linth24