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Kanton
03.12.2021

«Affäre Maudet» auch im Kanton St.Gallen möglich?

Der frühere Genfer Staatsrat Pierre Maudet blieb trotz schwerer Verfehlungen noch über zwei Jahre im Amt.
Der frühere Genfer Staatsrat Pierre Maudet blieb trotz schwerer Verfehlungen noch über zwei Jahre im Amt. Bild: Nielsackermann (CC BY-SA 4.0)
Ein parteiübergreifend unterstützter Vorstoss will von der St.Galler Regierung wissen, welche Grundlagen für ein rechtlich einwandfreies Amtsenthebungsverfahren im Kanton St.Gallen vorliegen.

Die fünf Kantonsratsmitglieder Yvonne Suter (Die Mitte, Rapperswil-Jona), Ivan Louis (SVP, Nesslau), Martin Stöckling (FDP, Rapperswil-Jona), Monika Simmler (SP, St.Gallen) und Meinrad Gschwend (Grüne, Altstätten) haben Anfang Dezember einen überfraktionellen Vorstoss (51.21.119) eingereicht. Darin erkundigen sie sich bei der Regierung nach den Grundlagen für ein rechtlich einwandfreies Amtsenthebungsverfahren für gewählte Mitglieder von St.Galler Behörden oder Gerichten, wenn schwerwiegende Verfehlungen vorliegen.

Als jüngstes Negativbeispiel für eine zu spät vorgenommene Anpassung derartiger Vorschriften führen die ParlamentarierInnen die «Affäre Maudet» um den Genfer Staatsrat Pierre Maudet an. Daneben habe es im Kanton St.Gallen kürzlich den Fall eines amtsunfähigen Richters gegeben. Dass Amtspersonen nach schweren Verfehlungen weiter im Amt bleiben könnten – möglicherweise ohne weitere Tätigkeit, aber bei voller Bezahlung –, sorgt aus Sicht der InterpellantInnen «zu Recht für Empörung».

Die KantonsrätInnen schlagen als Ansatzpunkt die Regelung das Kantons Graubünden für ein Amtsenthebungsverfahren vor. Dort könne das Kantonsparlament mit einer Dreiviertel-Mehrheit ein Mitglied des Parlamentes oder der Regierung des Amtes entheben, wenn schwerwiegende Verfehlungen vorliegen.

Nachfolgend die vollständige Interpellation im Wortlaut:

Fehlt dem Kanton St.Gallen ein rechtlich einwandfreies Amtsenthebungsverfahren?

«Schon mehrfach hat sich in der Schweiz die Situation ergeben, dass ein gewähltes Mitglied einer Behörde oder eines Gerichtes hätte abberufen bzw. des Amtes enthoben werden sollen, dies mangels geeigneter rechtlicher Bestimmungen aber nicht möglich war.

Jüngstes Beispiel, das – leider für den konkreten Anwendungsfall zu spät – zu einer entsprechenden Änderung der rechtlichen Grundlagen geführt hat, ist der Kanton Genf infolge der sog. «Affäre Maudet».

Aber auch im Kanton St.Gallen gab es in jüngerer Zeit den Fall eines gewählten nebenamtlichen Richters, der aufgrund schwerer gesundheitlicher Probleme amtsunfähig geworden war, dessen Rücktritt letztlich aber nur unter Zuhilfenahme rechtlich nicht geregelter Behelfslösungen möglich war.

Fehlen entsprechende rechtliche Grundlagen und ist ein betreffendes gewähltes Mitglied einer Behörde oder eines Gerichtes nicht zum freiwilligen Rücktritt bereit oder aufgrund gesundheitlicher Probleme dazu nicht mehr in der Lage, bleibt es bis zum Ende der vier- oder sechsjährigen Amtsdauer im Amt – möglicherweise ohne weiterhin tätig zu sein, hingegen selbstverständlich bei voller Bezahlung. Dies ist ein Zustand, der zu Recht für Empörung sorgt und daher besser unabhängig von konkreten Anwendungsfällen rechtlich einwandfrei geregelt werden muss.

Denn eines ist klar: Es darf nicht sein, dass die Möglichkeit, ein gewähltes Mitglied einer Behörde oder eines Gerichtes abzuberufen bzw. des Amtes zu entheben, für kurzfristige politische Manöver missbraucht werden darf. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Tatsache, dass die Exekutiven auf kantonaler Ebene nicht vom Parlament, sondern in einer eigenen Volkswahl gewählt werden, von grosser Bedeutung. Dies gilt es auf jeden Fall zu beachten, wenn geeignete rechtliche Bestimmungen erlassen werden.

Beispielsweise hält im Kanton Graubünden die Kantonsverfassung fest, dass die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden und Gerichten im Gesetz geregelt wird. Auf Gesetzesstufe ist verankert, dass das Kantonsparlament mit einer Dreiviertel-Mehrheit ein Mitglied des Parlamentes oder der Regierung des Amtes entheben kann, wenn es vorsätzlich oder grob fahrlässig Amtspflichten schwer verletzt hat, die Fähigkeit, das Amt auszuüben, auf Dauer verloren hat oder wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde.

Wir bitten die Regierung um die Beantwortung folgender Fragen:

  1. Ist es im Kanton St.Gallen möglich, ein gewähltes Mitglied einer Behörde oder eines Gerichtes des Amtes zu entheben, wenn es vorsätzlich oder grob fahrlässig Amtspflichten schwer verletzt hat, die Fähigkeit, das Amt auszuüben, auf Dauer verloren hat oder wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde? Falls ja, wo ist das geregelt?
  2. Falls es kein Amtsenthebungsverfahren im oben geschilderten Sinn gibt: Wo müsste das rechtlich geregelt werden? Wurde die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage schon einmal in Betracht gezogen und warum wurde gegebenenfalls darauf verzichtet?
  3. Hält die Regierung die Regelung des Kantons Graubünden grundsätzlich als geeigneten Ansatzpunkt für ein Amtsenthebungsverfahren? Sind die Hürden weder zu hoch noch zu tief angesetzt und sind die Tatbestände vollständig erfasst und hinreichend klar umrissen?»
Linth24