Der 14-jährige Marco H. musste auf Befehl der Kesb Linth und ihrer St. Galler Berufungsinstanzen elternlos fast zwei Jahre lang auf dem Jugendschiff über die Weltmeere kreuzen. Und das nur, weil Marco schulische Probleme hatte.
Die gewaltsame Trennung durch die Kesb belastete Marco und seine Mutter wegen Marcos Fussbehinderung doppelt. Er leidet seit Geburt an Klumpfüssen. Das sind nach Innen verbogene, versteifte Füsse, die Schmerzen bereiten und das Gehen massiv einschränken.
Solche Füsse müssen in der Jungend immer wieder begutachtet und behandelt werden. Geschieht dies nicht, verschlimmert sich die Behinderung und führt später zu Hüft- und Wirbelsäulenschäden.
In den Obersee Nachrichten (ON) waren wir Redaktoren tief betroffen davon, wie die Kesb die Marcos Behinderung negierte, weshalb wir dazu mehrere Artikel schrieben.
Journalismus wird zu Staatspropaganda
Diese aber passten dem St. Galler Kantonsgericht im Kesb-Prozess nicht. Wohl auch deshalb, weil es selbst dafür verantwortlich war, dass Marco H. auf dem Schiff leben musste.
Im Prozess der Kesb-Klage schrieben die Kantonsrichter in ihr Urteil: Die Artikel der Obersee Nachrichten zu Marco H. wären nicht persönlichkeitsverletzend gewesen, wenn wir Redaktoren geschrieben hätten, dass die Kesb «die Behandlung von Marco H.’s Fussbehinderung vernachlässigt» habe.
Aber – und jetzt kommt der Clou – wir hätten zugleich auch schreiben müssen, dass die Kesb den «potenziellen Nutzen der Schiffstherapie» höher gewichtet habe als «das ungewisse Risiko einer Verschlechterung von Marcos Fusssituation».
Da rätselt man: Gibt es in der Schweiz noch eine Pressefreiheit? Denn es ist ja gerade das Ziel eines Journalisten, der befragten Person interessante Antworten zu entlocken. Und zudem: Was sie sagt, ist deren freie Meinungsäusserung – oder ist diese zumindest im Kanton St. Gallen auch schon verboten?
Noch Fragen zur Pressefreiheit?
Speziell störten sich die St. Galler Richter an einem Interview, das ich mit der Mutter von Marco H. geführt hatte. Dazu schrieben sie, sie hätten «keinen Anstoss an den Aussagen der Mutter genommen». Es sei aber das «Zusammenspiel zu beanstanden», wie ich als Redaktor die Mutter im Interview befragt und sie zu ihren Antworten geführt habe.
Da rätselt man: Gibt es in der Schweiz noch eine Pressefreiheit? Denn es ist ja gerade das Ziel eines Interviewers, der befragten Person Antworten zu entlocken. Und was sie sagt, ist deren freie Meinungsäusserung – oder ist diese auch schon verboten?
Die störende Interview-Passage
Die Passage im damals von mir geführten Interview, welche den Richtern nicht passte, ist folgende:
Obersee Nachrichten: Uns liegt ein Schreiben des Kinderspitals St.Gallen vom 6. August 2014 vor. Der leitende Arzt der Kinderorthopädie bietet Marco H. zu einem Untersuch auf. Ist dies geschehen?
Marco H.’s Mutter: Nein. Mein Sohn müsste dringend untersucht werden, aber was kann ich machen? Die Beiständin schrieb mir, das könne nach dem Schiffsaufenthalt geschehen, obwohl der Arzt vor Gesundheitsschäden warnt.
Obersee Nachrichten: Was geht in Ihnen vor?
Marco H.’s Mutter: Ich fühle mich schrecklich. Das ist Kindeswohlgefährdung, nichts anderes.
Kaum zu glauben, aber wahr
Dazu schrieb das Kantonsgericht: Auch wenn das im Interview «nicht ausdrücklich ausgesprochen werde», müsse der Leser aus dieser Interviewpassage schliessen, dass sich die Kesb Linth «nicht hinreichend» um die Gesundheit von Marco H.’s Füsse gekümmert habe. Respektive, dass sie «mehr oder weniger bedenkenlos eine Gefährdung» von Marcos Füssen in Kauf genommen habe. Deshalb liege «in diesem Vorwurf» eine «schwerwiegende Verletzung der Ehre der Kesb».
So einfach geht das: Den Richtern passte nicht, was die Mutter aufsagte und legten fest, was die Zeitungsleser dazu dachten – und strafen dann die Zeitung ab, die die Sorgen der Mutter veröffentlichten. Kaum zu glauben, aber wahr!
Richter gegen Marcos Schmerzen
An anderer Stelle ihres Urteils in der Kesb-Klage notieren die Kantonsrichter, wir ON-Redaktoren hätten nicht bewiesen, dass Marco H. auf dem Schiff «tatsächlich an regelmässigen Fussschmerzen gelitten habe». Die Kesb-Akten würden «eher das Gegenteil nahelegen» (Was übrigens, wie ich gleich aufzeige, falsch ist.) Im nächsten Satz folgerten die Richter dann kühn und Kesb-servil – und, eben, falsch: «Gab es jedoch keine solchen Schmerzen», habe es auch keinen Grund und keine Dringlichkeit dafür gegeben, «Marco H. einer Untersuchung in der Schweiz zuzuführen».
Richter hätten Marco befragen können
Im Klartext: Die Richter bestimmten, Marco H. habe keine Schmerzen gehabt. Befragt haben sie ihn nicht. Offenbar war ihnen das zu heikel, weil seine Antworten wohl kaum in ihr Verurteilungskonzept gegen die Zeitung gepasst hätten.
Obendrein ging aus den Gerichts- und Arztakten zweifelsfrei hervor, dass Marco auf dem Schiff Schmerzen an den Füssen hatte. Erstens meldete dies die Mutter der Kesb immer wieder. Und auch die Ärzte äusserten sich dementsprechend, wie ich nachfolgend aufzeige.
Und zweitens äusserste sich Marco H. im Beschwerdeverfahren seiner Mutter gegen die Schiffsaussetzung gegenüber der St. Galler Kesb-Rekursinstanz VRK zu seinen Schmerzen in aller Deutlichkeit. Via Telefon vom Schiff aus der Karibik sagte der seit drei Wochen auf dem Meer kreuzende Junge den im St. Galler Gerichtssaal sitzenden Richtern:
«Mit meinen Füssen ist es ein Problem. Letzthin hatten wir Wache. Sie (die Schiffsleiter) wussten, dass ich dies mit meinen Füssen nicht machen kann. Man muss immer hin- und herrennen. Meine Füsse beginnen dann weh zu tun. Der Kapitän sagte mir aber, ich solle die Klappe halten.»
An anderer Stelle sagte Marco H.: «Wenn ich kurz hinsitze, weil die Füsse weh tun, wird mir gesagt, das sei scheissegal.»
Und in den ON führte Marco H. im Februar 2016 aus: «Ich musste Nachtwache machen wie alle anderen. Da steht man mindestens zwei Stunden – und das tut weh.» Der Schiffsleiter habe jeweils zu ihm gesagt, «dass Schmerzen zum Leben gehören. Ich konnte mich nicht wehren.»
Schreibverbot Nr. 1 zu Marco H.
Zu den ON-Berichten zu Marcos Fussbehinderung verpasste das St. Galler Kantonsgericht uns Ex-ON-Redaktoren zwei Schreibverbote. Das erste: Wir dürften nie mehr «behaupten», der Ex-Leiter der Kesb Linth und seine Mitarbeiter hätten «sich während des Aufenthalts von Marco H. auf dem Jugendschiff über ärztliche Anordnungen betreffend seiner Klumpfüsse hinweggesetzt».